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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 31.1913

DOI issue:
Nr. 11
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Baur, Ludwig: Unsere Aufgaben gegenüber der kirchlichen Kunst, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16253#0120

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107 —

nehmurig, wie mehr und ruehr ein oft
recht roh erscheirreuder künstlicher Archais-
mus und Primitivismus Platz greift, der
irr nicht selten rohen Formen mehr ab-
stoßend , als anziehend wirkt, wo also
der „Zeitgeist" des Volkes und Beschau-
ers ein anderer ist als der „Zeitgeist"
des Künstlers. Zuzugeben ist aber, daß
aus ueueu Techuikeu auch ueue Stilsormen,
Ausdrucksformeu abgeleitet werdeu müsseu
und daß rricht ohne weiteres romanische
oder gotische Fornren, die aus gauz an-
deren Blaterialbediugungen gewouneil sind,
auf moderne Techniken, etwa der Eisen-
konstruktion, oder des Eisenbetonbaues, Au-
weudurig finden können. Zuzugeben ist,
daß in der Malerei die Ergebnisse der
Farbenstudien, der Lichtexperimente u. s. f.
auch vom religiösen Künstler vernünftiger-
weise verwertet werdeu dürfen. Wir wer-
den Dr. Witte zustimmen dürfen, wenn
er sagt: „Die Ausnutzung neuer technischer
Errungenschaften kann eventuell a priori
auch ganz neue Formen forderu, da
eine künstlerische Sprache für sie nicht
überliefert ist, da der Wortschatz historischer
Stile für sie nicht ausreicht. Greifen wir
wiederum eiu Beispiel heraus. Es ist gar
nicht so unmöglich, nicht einmal unwahr-
scheinlich, daß über kurz oder laug aus
irgend welchen Gründen der Betonbau
auch auf das kirchliche Kunstgebiet mehr
uud mehr übergreifen wird. Würde der
Architekt etwa ztl den traditionellen For-
meu der Gotik greifen, wenn ihm die
Aufgabe gestellt wäre, eine Betoukirche zu
bauen? Die Gotik bedient sich eines fein
durchdachten Strebsystems, legt treppen-
förmig sich verjüngende Strebepfeiler vor
die aufstrebenden Wände des Hochschiffes,
damit sie den Druck der lastenden Ge-
wölbe aufnehmen; sie führt Strebebögen
von beu Mauern der Seitenschiffe empor
zrt den Hochschifflväudeu, damit sie wie
mit starken Schultern gegen die Druck-
zentren sich stemmen. Deckt nun heute
der Architekt seine Kirchenschiffe mit leich-
ten, aus Draht verputztet! Rabitzgewölbeu
ab: ist er daun berechtigt, einzig, tun
reiche „gotische" Bauformetl zu erzielen,
seine leichten, von den Wänden allein gut
zu tragenden Gewölbe durch Strebesysteule
aller Art zu stützen? Es wäre das eine
Unwahrheit, eine Lüge, uud was inniler

unwahr ist, das ist auch unschön."
(S. 22 f.)

Es sei bemerkt, daß wir in der Diözese
Nottenbnrg bereits eine in Betonbau aus-
geführte Kirche haben int Erdbebeugebiet
zu Lautliugeu.

1 [. Nach diesen allgemeinen Erörte-
rungen geht Dr. Witte nunmehr auf die
einzelnen Zweige des christlichen Kunst-
schaffens eiu: Architektur, Plastik, Malerei
sinkt. Glastualerei), Goldschmiedekunst und
Paramentik. Manch eine treffliche und
richtige Bemerkung findet darin unsere
Zustimmung. So ist es ein Gedanke, der
sich immer wieder deutlich ausgesprochen
durch das Ganze hindnrchzieht: nicht Fa-
brikware, sondern künstlerische Werke!
Nicht Kirchenknustfabrikanten, sondern
wahre Künstler! Nicht ohne warmherzige
Beredsamkeit wird diese Forderung, nur
dem wahren schaffenden Künstler für alle
Ziveige der kirchlichen Kunst den Weg
offen zu halten, wiederholt, und ein
warmer Appell an den Klerus, als den
Besteller, gibt dieser Forderung Nachdruck:
„Ueberall ruft's in der kirchlichen Kunst
nach dem Künstler von Gottes Gnaden.. . .
Man muß mit Künstlern Fühlung haben,
um einen Blick tun zu können in die
Hoffnungslosigkeit dieser strebsamen Män-
ner, die sich immer wieder aus den
Kirchen durch Fabrikanten verdrängt sehen,
weil ihr Kostenanschlag über den ihrer
Konkurrenten aus der Massenbrauche hin-
ausgiug. Die Verantwortung dafür, daß
die von Gott uns für die kirchliche Kunst
gegebenen Talente darben oder gar aus
der Laufbahn herausgedrängt werden: wer
trägt sie? Es drängt uns, unseren geist-
lichen Amtsbrüdern von dieser Stelle aus
uns bittend ztl nahen, daß sie ablasseu,
dem unverkennbaren Willen Gottes in die
Arme zu fallen und einer elenden After-
kunst die Kirchen zu öffnen. . . . Solange
der Klerus vor allein anderen die elende,
alles Kuustschaffen behindernde Stilfrage
ernsthaft stellt, ob gotisch oder roiuanisch,
so lange bekomnlt er Kunst in seine Kirche,
die an einer theatermäßigeu Aufmachung
krankt, die eine Art von Putzprodukt ist — :
armselige Mache! Eine ganz stattliche
Schar von Künstlern steht au den Pforten
der Kirche und pocht und bittet um Ein-
laß. Die Türen auf für sie! Mit ihnen
 
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