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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 32.1914

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Nr. 6
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Rohr, Ignaz: Ein Museumsgang in London, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16254#0065

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56

Wochen zählenden Besuches so dnrch-
genießen zu können, wie man möchte.
Hier nur einige einleitende Bemerkungen
und dann zur spezifisch „nationalen"
Sammlung, der Tate-Galerie.

Weltstädte haben wir eine ganze Reihe,
eine zweite Weltstadt wie London nicht.
Fremde kann man in jeder Großstadt
treffen, aber nur in London Fremde aus
allen fünf Erdteilen, welche hier ihren
Monarchen verehren. Auch die Reich-
haltigkeit der Museen kündet es laut,
daß England seit langem und überall zu-
greisen konnte, wo sich die Möglichkeit
zur Erwerbung eines Kunstwerks bot, und
daß es die Mittel dazu besaß und durch
Schüchternheit anr Zugreifen nicht be-
hindert war, So bietet sich dein Spe-
zialisten die Gelegenheit, in Soubon ein
gutes Stück seiner heiniatlichen Kunst-
geschichte studieren zu können, und der
Schwabe macht davon keine Ausnahme.
Dabei sind die Engländer so offenherzig,
in einer der größten Sammlungen auf
der Etikette der einzelnen Objekte nicht
nur den Namen, sondern auch die Her-
kunft, das Jahr der Erwerbung unb so-
gar den Preis anzugeben. Und gerade
diese Angaben könnten beni Schwaben
ein Gefühl der Genugtuung wecken, seine
Heimat verhältnismäßig gut vertretet, zu
sehen, würde sich o,e Genugtuung nicht
in Beschäinung und die Beschämung in
Witt darüber verwandeln, daß ein be-
deutsanles Stück des geistigen Erbes der
Väter an die Frenide verloren ging, und
zwar nicht in der Zeit, da man noch
keinen Sinn. für den Wert des Alten
hatte, ja teilweise um einen Preis, un,
den heute kein Bildschnitzer, geschweige
denn ein Künstler etwas m ähnlichen
Dimensionen fertigen würde. Es n,ag
ja sein, daß das Datuin der Etikette
nicht identisch ist mit den, Dalniu des
Uebergangs aus schwäbischen, in freu,den
Besitz, daß also Jahrzehnte seit letzteren,
vergangen sind. .Aber bedauerlich bleibt
die. Sache auch dann noch, und gesteigerte
Wachsamkeit empfiehlt sich von neuem.

Eine auch noch so allgemein gehaltene
Charakter,sierung der einzelnen Museen
ist innerhalb des Rahmens eines „Archiv" -
aufsatzes nicht möglich. Rur Eines sei
als ein (freilich neuerdings auch anderswo

sich findender) Fortschritt hervorgehoben,
daß das Sonth-Kensingtonmusen», wie-
derholt mit Erfolg beinüht war, Statuen,
Altären usw. eine zu ihrer Eigenart passende
Umgebung zu schaffen und ihre Wirkung
dadurch zu verstärken, eine Tendenz, die
bekanntlich das Münchner Natioualmnseun,
und das Berliner Kaiser-Friedrich-Museun,
sich angeeignet und konsequent dnrchge-
führt haben, insbesondere aber, daß von
Zeit zu Zeit Gelegenheit geboten wird,
unter Führung eines Fachmannes die
einzelnen Abteilungen zu besichtigen.

Neben überaus reichen, Import fällt
namentlich auch die Fülle einheimischen
Materials auf den, Gebiete der Para-
mentik und kirchlichen Kleinkunst ans, ein
Segen des Konservatismus ans liturgischen,
Gebiet, der trotz der Trennung von Rom
auch heute noch den anglikanischen Bischof
und Erzbischof mit Talar, Röchelt,
Pluviale und Hirtenstab schmückt, den,
Gottesdienst einen guten Teil seiner
Feierlichkeit aus der katholischen Zeit und
selbst den Ministranten ihr von jeher ge-
wohntes Gewand gelassen hat. Die
neueren katholischen Forschungen auf den
einschlägigen Gebieten, auch die deutscher
Herkunft, haben sich diesen Reichtun, sehr
ausgiebig zunutze gemacht.

Wer von unfern „National"museen
herkommt, der ist enttäuscht, in der
„Nationalgalerie" nicht etwa ein abge-
rundetes Gesamtbild der englischen Malerei,
sondern fast nur der englischen Porträt-
kunst zu finden, und auch innerhalb dieses
enggezogenen Rahmens wieder nur eine
Auswahl unter einem ganz bestimmten
Gesichtspunkt, näinlich Porträts der natio-
nalen Größen ans dem Gebiet der Politik,
des Kriegs- und Seewesens, des Handels,
der Kunst, Technik und Wissenschaft.
Es ist ein Repetitoriun, der englischen
Geschichte, der inneren wie der äußeren,
mit Demonstrationen, und der Trasal-
garsquare mit der Nelsonsäule, über den
die Galerie hereinragt, ist der richtige
Wechselrahmen dazu. Wenn irgendwo,
so drängt sich hier die Ueberzengung aus,
daß Periönl,chkeiten die Geschichte machen,
aber auch die andere, daß die Geschichte
Persönlichkeiten zeugt, und wenn es beim
Verlassen der Sammlung auch im Kopf
von Bildern und Nanren durcheinander-
 
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