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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 35.1917

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Nr. 1
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Naegele, Anton: Die Waldkapelle von Ensmad
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https://doi.org/10.11588/diglit.21062#0012
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6

4. Ach, mein Jesus geht zum Scheiden
Von der Mutter in den Tod.

Hab Mitleiden mit allbeiden,
Frommer Christ in dieser Not.

6. Jesus fallt hart zur Erden
Unter schwerem Kreuzesjoch,

Dir mußt es ansichtig werden,
Mutter, kannst nicht helfen doch.

6. O Maria, mit was Trauren
Siehst anr Kreuz den Liebsten deirr,
Und wir sind ohn all Bedanren
Härter als ein Kieselstein.

7. Hier wird tot ins Grab gelegt,
Mutter, all dein Trost und Freud.
Wer ist, der dies reif beweget?

Uird doch nicht vergeht vor Leid?

Eine frühere Besitzerin des Ensmader
Hofs, Witwe Benedikta Geiselhardt, hat
vor Jahren das Lied ebenfalls in einer
Abschrift dem alten Friedinger Pfarr-
herrn (Joseph Wolf) eingehändigt, in
dem Wortlaut, wie sie es in ihren alten
Tagen noch im Gedächtnis hatte, nnb
in einer eigenen Melodie vorgetragen,
die ebenfalls sich von Geschlecht zu Ge-
schlecht fortgepflanzt hatte.

Durch die Eigenart der Komposition,
der Farbengebung itnb der Ornameu-
tierung, noch mehr durch die Seltenheit
derartiger Holzdeckenmalereien und am
meisten durch die ikonographisch bedeut-
same Darstellung der sieben Schmerzen
Mariä verdient dieser Teil des maleri-
schen Schmucks besondere Beachtung.

Von dem einstigen Reichtum an !
Wand m alereien ist ja leider nur
verhältnismäßig wenig erhalten geblie-
ben, der größere Teil des jetzt Erhalte-
nm verdankt seine Auferstehung der
Entdeckung und Wiedevauffrischung im
letzten Jahrhundert. Noch viel dürfti-
ger ist der Bestand an Holztafelbildern
infolge der Verwitterung des Farbstoffs
und der Zerstörung des Mauerwerks.
Weit mehr aber als Stein ist Holz dem
Ruin durch Feuer, Würmer und andere
zerstörende Kräfte nusgefetzt. Die Eigen-
schaften der beweglichen Tafelbilder teil-
ten die b e m alten H o l z d e ck e n.

Die Ensmader Holzdecke nimmt nach
dem Inhalt und nach der technischen und

formalen Seite unter den sonstigen we-
nigen erhaltenen Holzdecken eine Son-
derstellung ein.

Jedes einzelne Bild umgibt ein
kreisrunder Kranz in dunkelgrauer Fär-
bung als schmales Blumenband, lim
diesen inneren Kranz schlingt sich in
kunstvoller Verbindung das Ranken-
werk, das allerdings immer nur ein
Motiv hat. Akanthusblätter durch-
ziehen jedes freie Plätzchen an der
Holzdecke.

Abwechslungsreicher sind die Sze-
u e n ausgestattet. So liebt es der
Maler, wo immer der Vorgang es nahe-
legt, architektonischen Zierat an-
zubringen. Beiin ersten Schmerzenbild,
der Beschneidung, bietet der Tempel zu
Jerusalem seine Jnnenränme zur Schau;
ebenso bei der dritten Szene, Jesus im
Tempel unter den jüdischen Lehrern; da
sehen wir Säulen, Altäre, Korbnischen
im Renaissancestil und mit ziemlich gu-
ter Perspektive. Bei der Darstellung
des Kreuzwegs (fünftes Bild) ist als
Hintergrund die Stadt mit Tempeln,
Toren, Zinnen angebracht.

L a n d s ch a f t s in a l e r e i bevorzugt
der Künstler in zwei anderen Szenen:
Bäume auf dem Weg der heiligen Fa-
milie nach Aegypten (zweites Bild);
etwas reicherer landschaftlicher Hin-
tergrund belebt die dramatisch geschil-
derte Szene des Abschieds Jesu von
seiner Mutter.

Die Ornamentik der Holzdecke trägt
zweifellos Renaissancecharakter, aber
manches Detail erinnert vollständig it. a.
an die „spätgotisch ornasnrentierten"
Stuhlwangen in Schemmerberg, OA.
Biberach °).

Gegenüber dem farbensatten G e -
w ö l b e sticht das leere Weiß der
Wände bislang gar zu sehr ab; daß
es nicht immer so gewesen, haben neueste
Entdeckungen klar bewiesen, und
wie nach den Schrecken des Schweden-
kriegs wird nach bald erhoffter Beeudi-
gung des Weltkriegs das Kirchlein im
alten Schmuck ncn erstrahlen.

Durch den mit einem barocken Kruzi-
fix behangenen Chorbogen von anf-

°) Mb. in Kunst- u. AWertumH-DenVm.
Würtöbg., Jnv. Miberuch, S. 217.
 
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