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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 35.1917

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Nr. 4
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Weser, Rudolf: Die Freskomaler Anton und Joh. Baptist Enderle von Söflingen, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.21062#0098
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92

lieber beu vier Beichtstühlen sind vier
Fresken in gemalten Rahmen: iai) ein
Heiliger im Meßgewand, ans dessen
Brust eine Flamme schlägt, in der sich
der iName Jesus zeigt, b) ein Bischof,
kniend vor einem Kreuze, c) eine Or-
densfrau vor dem Kreuz mit Totenkops,
als Büßerin, an ihrer Seite zeigt sich
der Kopf eines Hundes, d) eine Ordens-
frau in Verzückung, der ein Engel mit
dem Kreuz erscheint —- lauter Halb-
figuren.

An den beiden Emporen finden sich
fe fünf Bilder. An der unteren Empore:
uh Jesus, Maria und Joseph. Maria
sitzt auf einein Stuhl unter einem Palm-
baum, Jesus sitzt daneben und lieft aus
einem Buche und Joseph tritt lauschend
hinzu; b) Joseph arbeitet in der Werk-
statt, das Jesuskind hilft ihm, Maria
sitzt im Nebenzimmer am Spinnrocken;
<•) Jesus im Tempel unter den Lehrern
(gute Figuren); d) Joseph lehrt das
Kind schreiben, Maria am Spinnrocken;
<?) Joseph und Maria mit dem Kind in
der Mitte wandern nach Jerusalem.
An der oberen Empore: u) ein Engel
erscheint dem Joseph im Traum;
b) Flucht nach Aegypten (einstürzende
Götterbilder); c) Kindermord von Beth-
lehem, sehr bewegte Szenen, im Hinter-
grund Architekturbilder; d) Rast aus
der Flucht nach Aegypten; e) Familien-
szene in Aegypten.

Damit hat Enderle eines seiner be-
deutendsten Werke geschaffen, die noch
heute den Beschauer entzücken. Die
26 Bilder geben ein gutes Zeugnis von
der großen Kompositionskrast und dem
Ideenreichtum des Künstlers. Es war
eine schöne Ausgabe für den Künstler,
und der Künstler hat sie glänzend gelöst.
Das würde noch besser zum Ausdruck
gelangen, toertrt nicht das Plasondbild
im Chor durch den Pinsel eines Restau-
rators manches von den Eigentümlich-
keiten des ersten Künstlers, unseres En-
derle, eingebüßt hätte.

Seeg 1770.

Die 60er und 70er Jahre bedeuten
in der Entwicklung unseres Meisters
sedensalls den Höhepunkt seines künst-
lerischen Schaffens nach Quantität und I

noch mehr nach Qualität. Es ist fast
unglaublich, wie es Enderle. möglich
war, in dieser Zeit so vieles und Be-
deutendes zu schassem. Im gleichen
Jahre, in dem das umfangreiche Werk
der Allerheiligenkirche bei Scheppach
entstand, wurde Enderle nach Seeg im
Allgäu berufen, einige Stunden nörd-
lich von Füßen, ein Beweis, daß sein
Ruf als tüchtiger Freskomaler schon in
weitere Fernen drang.

In Seeg wareine großartige Rokoko-
Dorskirche von herrlicher Ausstattung,
alles aus Einem Guß und Fluß, erbaut
worden. Dieselbe ist 1906, wie ein
Chronogramm im Chor dartut, von
Professor Kolmssperger (München), dem
Bruder des dortigen Pfarrers, restau-
riert worden, eine Restauration, die
mit großer Pietät gegen den Fresko-
maler vor sich ging und nach allen Sei-
ten hin befriedigt. Leider ist dem eben
genannten neuen Chronogramm das
alte mit der Jahrzahl 1770 zum Opfer
gefallen.

Enderle hatte damals eine dankbare
Aufgabe, einen hohen und weiten Chor
und ein ebenso geräumiges Schiss aus-
zuschmücken, und sein Pinsel ist in die-
ser Arbeit unermüdlich gewesen.

Das Hauptgemälde im Chor schildert
die Schlacht auf d e m Lechfelde
am 10. August 955. Die Geschichte36)
berichtet, daß beim Ansturm des gewal-
tigen Ungarnheeres der hl. Ulrich, Bi-
schof von Augsburg, diese Stadt vertei-
digte mit dem Gottvertrauen ,mn.es Hei-
ligen, mit dem Mut eines Helden und
mit der Umsicht 'eines Feldherrn. Unter
dem Hagel der Geschosse saß der fünf-
undsechzigsährige Greis im priesterlichen
Gewand, von keinem Schild gedeckt,
hoch zu Roß, von keinem Pfeil verletzt,
die Kämpfenden befeuernd, die Verwun-
deten tröstend, Rat spendend und Be-
fehle erteilend. So hielt er die Ungarn
hin, bis Kaiser Otto I. Zeit fand, sein
Heer zu ordnen und herbeizusühren.
Nach langem und erbittertem Kamps
wurden die Ungarn vollständig geschla-
gen.

Der Künstler stellt den Vorgang also
**) Weiß, Weltgeschichte IV 3 S. 248.
 
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