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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 37-39.1919/​21

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Nr. 3 (1920/21)
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König: Die neue Kunst, [1]: ein Beitrag zum Verständnis moderner Kunstbestrebungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22108#0124

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32

Um Neuerungen vereinzelter kleiner
Gruppen, so zeigt uns die Entwicklung,
daß das Wittern und Aufhorchen immer
mehr um sich greift. Dabei ist die Tat-
sache nicht zu verkennen, daß alle diese
vereinzelt erscheinenden Gruppen, so
verschiedenartig, ja konfus int ersten
Augenblick ihre Zielrichtung erscheinen
mag, etwas Gemeinsames haben und
zwar nicht nur negativ im Streben nach
Andersartigem, sondern auch positiv.
Nur die Versuchsmethoden sind verschie-
den, um ganz verwandte Absichten zu
verwirklichen. Mag man nun diesen
Versuchen sympatisch gegenüber stehen
oder nicht: den Kern dieser künstlerischen
Absicht zu erkennen, wird immer wert-
voll sein und notwendig.

Im Gegensatz zum Impressionismus,
der die Welt der sinnlichen Wahr-
nehmungen im Bilde einzufangen suchte,
sucht der Expressionisnuts der Welt den
geistigen Vorstellungen im Bilde
habhaft zu werden. In diesen geistigen
Vorstellungen heben die Expressionisten
bei ihren tastenden Versuchen einstweilen
noch das Verschiedenartigste heraus.
Dem einen ist die Hauptsache die bunte
Mannigfaltigkeit verschiedener Eindrücke,
die als „Niederschlag alles Erlebens"
im Geiste Zurückbleiben; dem andern
zeigt sich das geistige Bild in „geometri-
sierenden Formen", entsprechend un-
serem „geometrisch organisierten" We-
sen; beim dritten knüpfen sich die geisti-
gen Vorstellungen an „bestimmt heraus-
gegriffene Sonderheiten der äußern Er-
scheinungen"; andere wollen ihre Vor-
stellungen nur mit dem „Fluß von Be-
wegungen" verbinden, ohne sich weiter
zu interessieren für die Träger der Be-
wegung; wieder andere verbinden sie
statt dessen mit der Farbe oder auch mit
Bewegung und Farbe unter gleichzeiti-
ger Zurückdrängung der Form; mit dem
Zurücksinken der Form verschwindet zu-
gleich die Bedeutung des konkreten
Raumgefühls, und ein unbestimmter
Raumbegriff, der sich dem Zweidimen-
sionalen nähert, tritt an die Stelle.
Suchen wir mit den Hauptpersönlich-
keiten all dieser Richtungen bekannt zu
werden, so geraten wir in die seltsamste
Gesellschaft deutscher, französischer, italie-
nischer Zunge: Holzel, Eberz, Pech-

stein, Dill, Severini, Picasso, Archipenko,
Marc, Kandinsky, Van Gogh, C6zanne,
Matisse. So verschiedenartig, ja ent-
gegengesetzt sie nebeneinander stehen
mögen: das eine haben sie gemeinsam,
daß ihre Eindrücke sich ausleben in der
flüssigen Form des Geistigen; eine be-
stimmte Form kennen sie nicht, und die
Naturerscheinung ist ihnen nichts als ein
Mittel zur Anknüpfung irgend einer
jener Eindrücke. Für ihre Geisteswelt
das Symbol eines sinnlichen Ausdrucks
zu finden, das ist ihr Streben; nicht die
Erscheinungen eines Stückes Außenwelt
oder gar die Darstellung eines Ereig-
nisses nehmen sie sich zum Thema. Der
außenstehende Beschauer vermag einer
solchen Zielstellung nicht mehr zu folgen
und wird deswegen gern an der Be-
rechtigung solchen Kunststrebens ver-
zweifeln. Da es jedoch bei wirklich bedeu-
tenden Künstlererscheinungen gleichgül-
tig ist, welchen Prinzipien sie nachstre-
ben, so liegt auch in der Richtung dieses
neuen Wollend ohne Zweifel etwas sehr
Bemerkenswertes. Mögen uns dabei die
Al sichten künstlerisch erreicht erscheinen
oder nicht, sie deuten jedenfalls auf einen
Wendepunkt, auf einen Umschlag in un-
serer künstlerischen Weltanschauung.
Etwaige groteske Nebenerscheinungen
sind dabei verhältnismäßig gleichgültig
zu bewerten. Den Ausschlag gibt die
Tendenz und diese ist deutlich zu erken-
nen: es ist das Streben nach dem inneren
Ausdruck, nach dem, was aus des Men-
schen Innerem kommt. Das „Geistig-
Abstrakte tritt dem Sinnlich-Organischen
gegenüber." Die Expressionisten knüp-
fen in ihrem Programm schon an Goethe
an. Er sagte: „Die Kunst soll nicht nur
das Loben verschönern und das.Häßliche
verbergen und umdeuten, sondern Kunst
soll selber Leben bringen, Leben schaffen"

— „nicht das, was man gewöhnlich sieht,
soll die Malerei darstellen, sondern was
man sehen möchte und sollte" (Goethe).

— Aus diesen Worten Goethes ohne wei-
teres zu schließen, er sei Expressionist ge-
wesen, würde den Tatsachen widerstrei-
ten ; er spricht hier zunächst als Dichter. —

Und so wenden sie sich ab von jeder
Art Kunstrichtung, deren Endzweck ist,
ein Stück Wirklichkeit vorzutäuschen,
auf Illusion hinzuwirken. Die uralte
 
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