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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 1- 3
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Weser, Rudolf: Der Ulmer Totentanz im Wengenkloster
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0035
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Beginn der Ostwand anfangende Totentanzbemalung ist nicht aufgedcckl. Dieser Teil der
Wand muß „den ersten Prediger" mit seinem Spruch enthalten, woran sich Strophe und
Gegenstrophe über den Papst und die TodeSftrophe an den Kaiser — bis hieher alles noch
unter der Tünche — anschließen. Erst von der Gegenstrophe des Kaisers an beginnt der
aufgedeckre Teil des Werkes. Auf dieselbe folgen je zwei Strophen über die Kaiserin und den
König. Rechnen wir die Rede des ersten Predigers als erste Strophe, so ergibt sich für den
Papst die zweite, für den Kaiser die dritte, für die Kaiserin die vierte und für den König
die fünfte Strophe, wie ja über diesen Königsstrophen heute noch die Zahl V zu lesen ist.
Damit ist unsere Annahme übet* den Inhalt des unaufgedccktcn Anfangs gesichert. Weiter
aufgedcckt sind nun noch die Bilder und Strophen über Kardinal, Patriarch, Erzbischof,
Herzog, Bischof, Graf, Abt, Ritter, Jurist, Chorherr und die Todesstrophe über den
Arzt. Damit ist erwiesen, daß im Wengen-Totentanz 16 Doppclstrophen im engsten Anschluß
an den Urtext des Totentanzliedes geschrieben und illustriert sind. Es ist gar kein Zweifel,
daß auch die aus obenstehender Zusammenstellung ersichtlichen, noch fehlenden neun Bilder
mit Doppclstrophen und der Schlußermahnung „des anderen Predigers" noch unter dem
Verputz der Ostwand verborgen sind.

Zu den vorhandenen 10,8 Meter Bildfläche fehlen also jetzt noch der Anfang mit
2'A — 3 Meter und die Fortsetzung mit ca. 9 Meter, so daß sich für den ganzen Totentanz
eine Malflächc von mindestens 22 Meter Länge ergibt.

Die Bilder der Figuren der Menschen und des Todes dürften eine Höhe von 80 bis
90 Zentimeter haben. Die Gestalten des Todes erscheinen nicht in anatomischer Skclett-
form, vielmehr sind die Knochen noch mit Haut überzogen wie beim Holbeinschen Totentanz.
Lose flackert um die sehr lebhaft bewegten Todesgestalten ein leichter Mantel. Die Men-
schengestalten tragen reiche vornehme Kleidung mit edlem Faltenwurf, deren Farben meist
sehr abgcblaßt sind- Leider sind die oberen Körperpartien und besonders die Köpfe durchweg
unkenntlich. Am leichtesten erkennbar ist der Ritter, der seinen Fuß auf ein langes Schwert
setzt, und eine Frau in einem röbrcnfaltigen Kleid. Deutlich sichtbar sind die Gürtel des
Kardinals, den die Todeshand erfaßt, und ein Paar spitz zulaufende rote Schuhe.

Die Malerei ist flächig; die Technik ist nicht Fresko, sondern einfacher Farbenauftrag
in Tempera. Dies scheint eben die Erhaltung der Farben sehr erschwert zu haben-

Der dekorative Fries unterhalb und oberhalb des Bildes besteht aus flüchtig gezeich-
neten Rosetten und Blattgewinden.

Ueber diesen Totentanz ist bis jetzt nur eine einzige geschichtliche Notiz bekannt ge-
worden. Ich fand dieselbe in der lateinisch geschriebenen Geschichte des WengenklofterS,
die Michael TTT. Kucn von Weißcnhorn, Propst 1754-1765, verfaßt bat. Er schreibt:
AbbaS UlrieuS Strobel (Maver) 1440 depingi curavit choream defunctorum, d. i. Abt
Ulrich Strobel ließ 1440 den Totentanz malen. Dieser Abt regierte von 1425— 1445. Es
ist derselbe, dem 1454 vom Konzil in Basel die Reform des Klosters Söflingen übertragen
wurde. Es ist möglich, daii er in Basel selbst die dort geschaffenen Totentänze (in Klcin-
Bascl-Klingental und in Groß-BaseH gesehen bat. Zur -2eit des Konzils herrschte mehrfach
die Pest, die in einem TotentanzverS einmal als „die Frau des Todes" bezeichnet wird.
Solche Pestepidemien haben manchmal den Anlaß zur Errichtung von Totentänzen gegeben.
Es ist möglich, daß Abt Ulrich die Bilder für feinen Klosterk^euzqang nur in Auftrag ge-
geben bat und sich diwen Ausführung etwas verzögert bat über seine RegiernngSreit hinaus.
Wenn man einen Irrtum des Geschichtschreibers annelnnen wollte, so käme höchstens in
Betracht Ulrich kl. Krafft, der von 1468—1480 regierte. Mir scheint aber, daß diese
Datierung zu spät wäre, weil die sprachlichen Formen der Legende in eine frühere
Zeit weisen.

Als Probe der Ulmer Totentanzdichtung seien ein paar Verse angefügt:

Die Königsstrophe:

Ich Han als ein Kunec gewalticlich
Die weit regieret und daz rich.

Nun bin ich mit des todeS banden
Verstriket gar in feinen Händen.

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