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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 7-9
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0078
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Abraham, der Typus des ewigen HoheprieftcrtumS Christi ist." Allein die Darstellung
MelchiscdechS auf dem Ehrenstuhl wird der Schilderung des Ereignisses in der Heiligen
Schrift hier nicht gerecht, und die Erklärung ist ikonographifch vollständig unmöglich. Auf
den diesbezüglichen Bildern ist Melchifedech immer als Priesterkönig gekennzeichnet durch
die Krone, und meist stehend, Abraham als Kriegsmann in der Waffenrüstung stehend
oder kniend gezeichnet. Man vergleiche die Armcnbibel 30) oder die Ikonographien").
Feurstcin, der diese Deutung deswegen ebenfalls ablehnt, kommt nach der von ihm ange-
nommenen Quelle für die Bilder Grünewalds auf die Erklärung der Figuren als Ab r a-
h a m und E l i e z c r oder A b r a h a m und Isaak. In den Offenbarungen der
hl. Brigitta heißt cs in der zweiten Lesung am Dienstag: „Abraham erhielt die Eröffnung,
eine unbefleckte Jungfrau seines Stammes werde den Sohn Gottes gebären. Und es ist zu
glauben, er habe sich mehr auf diese künftige Tochter gefreut als auf Isaak, seinen Sohn,
und sie mehr als diesen geliebt. Diesen seinen Glauben übergab Abraham als heiligstes
Vermächtnis mit fester Zuversicht seinem Sohne Isaak." Dazu macht Feurstcin die An-
merkung: „Man beachte die Szene im Portaltympanon mit den beiden Mänern, von denen
der eine kniet, der andere zu segnen scheint. Also Abraham und Isaak oder Abraham und
sein Knecht Eliezer, der auf seine Lenden schwört, nach Genesis 24, 9. Schon die disjunktive
Form dieser Deutung kau» nicht befriedigen, noch weniger die von R. Wicbel auf die
Segensspendung Isaaks au seinen Sohn Jakob gesuchte Beziehung33). Beitz sucht die
beide» Personen als Gott Vater und Abraham zu bestimmen und weist hin
auf Gottes Segensverheißung an den Stammvater, auf den sich auch Paulus im Galater-
brief 3, 16 beziehe.

Allein keine der bisherigen Lösungen des Rätsels dürfte zutreffend fein.

Bei der Betrachtung des Tympanons stieg in uns die Erinnerung auf au eine früher
einmal gelesene Stelle im Geschichtswerke von Michael""). Dieser führt hier einen Abschnitt
an über die Erlösung aus dem „Fließenden Licht der Gottheit" der Schwester M c ch t-
h i l d v o n M a g d c b u r g. Nach der Schilderung des Sündenfalls fährt die Sehe-
rin fort:

Da erhob sich ein hoher Rat in der hl. Dreieinigkeit, und der ewige Vater sprach:
„Mich reut meine Arbeit; denn ich hatte meiner hl. Dreieinigkeit eine so edle Braut (d. i.
die Menschensccle) gegeben, daß die höchsten Engel ihre Diener sein sollten. Ja, wäre
Luzifer auch in seinen Ehren geblieben, sie hätte seine Göttin sein müssen. Denn ihr allein
war das Brautbett gegeben. Doch sie wollte mir nicht länger ähnlich sein. Nun ist sie miß-
geschaffen und greulich gestaltet. Wer sollte den Unflat auf sich nehmen?"

-Da kniete der ewige Sohn v o r seinem Vater und sprach: „Lieber
Vater, das will i ch fein. Willst du mir dein e n S e g e n geben? Ich will gern die
blutige Menschheit an mich nehmen und will des Menschen Wunden salben mit dem Blut
meiner Unschuld und will sie alle verbinden mit dem Tuch elender Schmach bis an mein
Ende und ich will dir, lieber Vater, der Menschen Schuld mit menschlichem Tod bezahlen."

Es sprach der Heilige Geist zum Vater: „O allmächtiger Gott, wir wollen nieder-
steigen in hoher Ehre von dieser Höhe. Bin ich doch bisher schon Mariens Kämerer gc-
wesen."

Da neigte sich der Vater in großer Minne zu ihrer beider Willen und sprach zum
Heiligen Geist: „Du sollst mein Licht vor meinem lieben Sohn hertragen in alle die
Herzen, die er mit meinen Worten soll bewegen. Du aber, Sohn, sollst dein Kreuz auf
dich nehmen. Ich will vor dir wandeln all deine Wege und will dir eine reine Jungfrau
zur Mutter geben, damit du die unedle Menschheit desto eher ertragen magst."

"") Z. B. Laib u. Schwarz, Biblia pauperum, 2. A., 1892, Würzburg, Tafel 8. - Vgl. übri-
gens Melchis. Abr.", Gemälde von K. Witz in Basel.

n7J Detzel, Christliche Ikonographie, 2. Bd., s. v. Melchisedech. Montan», Traite d’Iconographie
Chrtdienne, Paris 1890 II S. 55, 56, 91.

Mille, L’Art religienx du XIII. si6cle en France Paris 1923, Abbildung S. 156.

3S) Feurstcin, S. 20 und Aum. 112 und Anm. 59.

:l!)) Geschichte des deutschen Volkes, von Emil Michael, 1905, 111, S. 195.
 
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