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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 7-9
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Rohr, Ignaz: Eindrücke aus dem Dom zu Erfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0097

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flankierenden, trefflichen Figuren des heiligen Mauritius — dieser in kriegerischer Rü-
stung der Entstehungszcit, jener in idealer Gewandung vom Jahre l 698 —) ist kein boden-
ständiges Erfurter Produkt. Den Abschluß bilden ein hölzerner Seitenaltar vom Jahre
1750 mit Maria als apokalyptischem Weibe und zwei Bischöfen, ein silbernes Weihbecken
mit Weihwedel (ca. 1770) von Meister Johann Göttlich Kiel-Erfurt und eine Augsburger
Meßgarnitur vom Jahre 1777— 1779, laut Inschrift zur Erinnerung Joannis Georgis
Joseph i episcopi Joppensis suffraganei Erfordiensis gestiftet.

So lösen also bei der Innenausstattung romanischer, gotischer, Barock- und Rokokostil
einander ab. Wenn trotzdem nicht das Gefühl eines schreienden Gegensatzes und einer grellen
Disharmonie entsteht, so ist ein Erklärungsgrund die geschickte Verteilung. Freilich versagt
er gelegentlich. Gerade an dem Punkte, zu dem der ganze Bau den Beschauer hindrängt, dem
Chorabschluß, postiert sich breit und behaglich „der Wolfram" aus dem letzten Drittel des
17. IahrhunderterS, auf einem Unterbau mit phantastischen Tieren stehend, mit dent Haupte
und den ausgebreiteten Armen drei große Kerzen haltend, „als einzige erhaltene vollplastische
Bronzefigur aus jener frühen Epoche und als Werk von unbestreitbar monumentaler Wir-
kung zu den kunstgeschichtlich bedeutsamsten und interessantesten Schöpfungen der romani-
schen Gießerkunst in Deutschland" gehörend. Links und rechts von ihm schmiegt sich das
hochgotischc Chorgestühl an die Chornischen an, gleich bedeutsam durch den aufwärtsstreben-
den Schwung feiner Architektur und die zierliche Anmut feiner Dekoration. An der vorder»
Chorwand baut sich gravitätisch und wuchtig mit der ganzen Grandezza des Barock in zwei
Geschoffen der Hochaltar auf. In seiner weitausladenden Anlage umfaßt er den Kuppelbau
des Tabernakels, mehrere Oelgemälde, zwölf vollplastischc, überlebensgroße Heiligenfiguren,
die unvermeidlichen Putten und Medaillons — und doch erhebt er nicht den Anspruch, das
letzte und wuchtigste Wort im Chor zu reden, sondern gewährt den feinempfundenen und in
glücklich abgestimmter Farbenharmonie ausgeführten Gestalten der gemalten Fenster aus
gotischer Zeit noch Raum genug, um LugauS zu halten auf die zu ihren Füßen betende
Gemeinde und mit einzuftimmen in das Sursum corda des Chorgestühls. Trotz aller Stil-
unterschicde sucht doch eine Periode die andere nicht zu überschreien, sondern nur mit ihr
je nach ihrer Eigenart zusammenzuklingen zur Ehre Gottes und der Erbauung der
Gläubigen.

Was von den einzelnen Stilarten gilt, das gilt auch von den verschiedenen Kunst-
gattungen, so, wie sie sich heute präsentieren. Als einzigen malerischen Schmuck erhielt das
Aeußere die Mosaikmuttergottes am Westgiebel, und auch diesen erst im vorigen Jahrhun-
dert. Sonst gilt der Grundsatz: Saxa loquuntur, und sie reden deutlich genug. Aber auch
im Innern hat man darauf verzichtet, dem Schwung, der in den frisch emporstrebenden Bo-
gen und Säulen liegt, noch nachzuhelfen durch Rankenwerk, oder ihn gar totzuschlagen durch
Einzeichnung von Quadern, wie dies — wieder erst im vorigen Jahrhundert — gleich
nebenan in der Scvcrikirche geschah, sondern der lichte Steinton paßt sich den Lichtwellen
aus den Fenstern ruhig an und hebt die Gediegenheit der Innenausstattung nachdrücklich
hervor.

Zu dem befriedigenden künstlerischen Eindruck gesellt sich der religiöse. Der tiefe Ein-
schnitt zwischen Schiff und Chor durch die beiden massigen Türme legt den Vergleich mit
de» nach dem Schiff hin durch eine Türe völlig abgeschlossenen englischen Kathedrale»,
namentlich der Hauptkathedrale von Canterbury von selber nahe. Nur handelt eö sich in
Erfurt um eine Diasporakirche, in Canterbury um den Mittelpunkt der englischen Hoch-
kirche. In Canterbury genügte der Chor zur Aufnahme sämtlicher Teilnehmer am Haupt-
gottesdienst an einem Sonntag, an dem der Sport ein Stelldichein von ganz England ver-
anstaltete. In Erfurt waren an einem gewöhnlichen Sonntag Schiff und Chor gut besetzt,
obgleich der gleichfalls gutbesuchte Gottesdienst in der Severikirche dicht nebenan eben erst zu
Ende gegangen war. Die Besucher bekennen sich also auch heute noch freudig zu dem Grund-
satz, den die Inschrift am südlichen Architrav des Taufsteinoberbaus aus dem Jahre 1587
kiindct: Credo sanctam ecclesiam catholicam, Sanctorum commnnionein.

Litera tur: C. Gurlitt, Historische StädtcbilderI, Erfurt.Berlin, WaSmutli 1901; u. A. Overmau»,
bie Kunstdenkmäler der Plastik, der Malerei uud des Kuustgewerbes der Stadt Erfurt 1911, S. 397 ge-
nannte».
 
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