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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 10-12
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0108
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hinauf durch die rauhe Rinde an Händen xmb Füßen sich emporziehend, gekreuzigt
v o m M u t t e r s ch o ß a n b i S z u m T o d e"112). An einer anderen Stelle sagt derselbe
Geiler von Kaisersberg: „Das Kreuz ist wie ein gemeinsames Panier aller zu Erlösen-
den, sowohl der Engel als der Menschen, unter welchem den gegen den Teufel kämpfende»
Engeln im Himmel Ehre in der Höhe werden soll, und den Menschen auf Erden, die sich
im Kampf gegen denselben Feind befinden, gelten soll das Wort: Friede den Menschen
ans Erden, die guten Willens sind".

Wollte man aber das Kreuz auf unserem Bilde außerhalb des Torbogens
gestellt ansehen, so wurde nach der fast allgemeinen Meinung der Väter diese Außerhalb-
stellung des Kreuzes den Hinweis auf die Universalität der Erlösung in sich schließen. Unser
Straßburger Prediger faßt diese Väter-Meinung zusammen in den Satz: „ChrysostomuS
will, der Herr leide unter freiem Himmel, nicht im jüdischen Tempel, damit man nicht glaube,
er sei bloß für jenes Volk geopfert. Und darum hat er (koras) außerhalb der Stadt, außer-
halb der Mauer gelitten, damit man wisse, sein Opfer sei allgemeiner Art, weil es ein Opfer
für die ganze Erde und eine gemeinsame Reinigung ist"123).

Nun ist auch die Auffassung für die M a u e r klar. Es ist keine Gartenmauer, sondern
die Mauer, welche die Sünde aufgerichtet hat zwischen Himmel und Erde, die sich nun öffnet
durch daö Kreuz, und die eingerissen wird (siehe rechts den halb abgetragenen Mauertrakt),
niedergerissen wird durch de» Erlöser. Schon Sedulius besingt in einem Hymnus diesen
Gedanken in Erinnerung an den Fall der Mauern Jerichos:

Distruit arca Dei muros dum Circuit liostem,

Sic liostem mundi distruit arca Dei121).

e) Hinter der heiligsten Mutter mit dem Erlöserkinde und hinter dem grünbewachsencn
Hügelzug, auf dem die Hirten bei ihrer Herde die Engelsbotschaft empfangen, ragt ein steiles
Bergmassiv empor, daS nach rechts hin niedriger abfällt. Die Erklärer, besonders
Bernhart und Beitz1^) haben den Berg (nicht: Bergkcgel, sondern Gebirgszug) nach dem
Traum des Nabuchodonoior (Daniel 2) als den Berg aufgefaßt, von dem sich ein Stein
loSgerisscn, der selbst wieder zu einem Berge wurde. Sie zitieren das speculurn liumanne
salvationis, nach welchem der Berg Maria bedeutet, der loögerissene Stein aber Iesum.
Damit verbindet Beitz die Stelle des Breviers zum Fest der Unbefleckten Empfängnis, wo
Maria angeredet wird: Ave Dei mons praepinguis et umbrosus, . . . mons e cjuo
devolutus ille nulla manu praecisus lapis, ... et t'actus est in caput anguli,
mirabilis in oculis nostris. Beitz weist auf Stellen im Antoniterbrevier in der Weih-
nachtszeit hin, wo mehrfach von dem lapis angularis, dem Eckstein, die Rede ist. Er hätte
aber geradeso gut auf das sechste große O unter den großen Antiphonen vor Weihnachten
liinweisen können: 0 rex gentium et desideratus carum lapisque angularis qui
l'acis utraque unum, veni et salva hominem, quem de limo formasti123); ebenso
auf die lect 3 fer TI nach dem 3. Adventsonntag aus Is. 28, 16:

„Schon habe ich in Sion einen Grundstein eingesetzt,

solch einen Stein, der recht erprobt,

solch einen Eckstein, der gar köstlich ist,

solch eine feste Grundlage,

auf die man furchtlos sich verlassen kann".

Es ist möglich, den „Berg" so zu erklären, obwohl die ikonographische Schwierigkeit be-
steht, daß eben nur der Berg, nicht aber der lapis abscissus oder angularis sich auf un-
serem Bilde findet. Zwar hat Bernhart nach diesem Steine gesucht und meinte ihn finde»

Iln) Geiler von Kaisersberg, Ne arbore humana, in dem Abschnitt, der de excellcntiis arboris criicifixi
handelt fol. 33.

I2°) a. a. 0. fol. 32a u. d. Geiler folgt in der letztgenannten Stelle dem hl. Augustinus sermo 4‘> in Ap-
pcncl. de cliversis. in freier Zitationsweise.

m) Sedulii opera omnia, rec Huemer, Corp. Scr. cccl. latin. Wie» ISS?, liymnus 1, S. I?8.

>--) Beitz S. 51.

im) Gegenüber Bernhart S. 6 sei darauf aufmerksam gemacht, dasi es keine „22. von den sog. L>-An-
tiphone» gibt, es sind nur sieben und die betreffende ist für den 22. Dezember.

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