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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 41.1926

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1. Heft
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Hartmann, Karl Otto: Die Wallfahrtskirche Ave Maria bei Deggingen im Täle
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https://doi.org/10.11588/diglit.15944#0008
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illustrieren. Sämtliche 14 Bilder stammen von Joseph Wannenmacher, dem
bekannten Meister ans der Rokokozeih).

In den Decken entfaltet sich eine überaus lebensvolle und reiche Dekora-
tion. Auf den HauptgesimSverkröpfnngen über den Pilastern stehen oder
sitzen in Vollplastik ausgeführte Stuckfiguren in stark bewegter, ekstatischer
Stellung, mit flatternden Gewändern und mit Hinweisen auf kirchliche Vor-
gänge oder Sinnbilder. Zahlreiche Putten sind noch in Hochrelief eingestreut,
kirchliche Embleme tragend.

Einen Hauptreiz bildet das zwischen dem Hauptgesims, den Rahmen und
den Figuren sich auf dem Deckengrund ausbreitende Ornamentwerk. Eö trägt
die typischen Züge eines frühen süddeutschen Barocks, etwa um das Jahr
1710 herum. Seine Grundlage ist flaches, schmales Bandwerk, das hier
noch meist in Doppelspiralen sich aufrollt und reich mit üppig gegliederten
Akanthnsblättern besetzt ist. Wir haben hier im Vergleich zur Kirche in
Obermarchtal schon eine fortgeschrittenere Stufe des Barocks, die erst zehn
Jahre später im Schloß zu Schleißheim ihre höchste Vollendung erhielt.

Eine über diese Stufe noch hinanögeschrittene Dekoration zeigt die Beicht-
kapelle. Hier sehen wir an einem sehr kennzeichnenden Beispiel den Über-
gang von Barocker Bandornamentik zu der schon flüssig werdenden, in die
Ecken oder zwischen den Rahmen und Bändern sich einschmiegenden oder mit
ganz frei geschwungenen Umriffen in die Ebene sich auöbreitenden Muschelor-
namentik des Rokoko. Die Farbengebung bei den Ornamenten zeigt — und
dies gilt für die ganze Dekoration der Kirche — daS Nebeneinander und In-
einander von einem bläulichen, einem leichten Rosa- und Cremeton; dadurch
wird eine sehr weiche, zarte, duftige und stimmungsvolle Gesamtwirknng
erzielt.

Die H a u p t st ü ck e der innere n A u s ft a t t u n g sind der Hochaltar,
die beiden Seitenaltäre und die Kanzel.

Der Hochaltar ist ein einzigartiges Prunkstück nicht nur der Kirche,
sondern der ganzen Epoche. Das, was ihn von andern Altären seiner Zeit
unterscheidet, liegt darin, daß er nicht, wie sonst, ans Unterbau, Säulen und
Gesims zusammengesetzt, sondern wie atis einem Stück weißen Alabasters
herauSskulpiert erscheint. Der Altarunterban hat etwa die doppelte Höhe
der Mensa. Auf ihm stehen seitlich zunächst zwei Heiligenstatnen, Joachim
und Anna. An der Stelle von Säulen erheben sich Hermen mit Karyatiden.
Als solche sitzen an vorderster Stelle des Aufbans zu beiden Seiten auf brei-
ten Doppelvoluten geflügelte Engel. Sie tragen ein korinthisches Kapitäl,
über diesem ein als Verkröpfung stark vortretendes, wuchtiges Kranzgesimö.
Je eine weitere gleichartige Karyatide trägt den seitlichen GestmSabschlnsi.
Diese Figuren geben dem Altar ein ungemein lebendiges Aussehen. DaS

'). Eigentlich sind es deren sechzehn, denn im Chor finden sich noch zwei Medaillonbilder von
Manneninacher, über dem Halbrnnd der beide» Emporen, oberhalb der Sakristei und Beichtkapellc.
Sie versinnbilden ebenfalls die Unbeflecktheit Mariens, sind aber so klein, dasi man sic leicht übersehen
kann (vgl. „Kurze Geschichte der Wallfahrtskirche Ave Maria", herausgegeben anläßlich der Heilig-
sprechung des hl. Petrus Canisiu«, des Patrons des Tale, S. 22 f.). Uber das Leben und Wirken
des Malers Joseph Wannenmachcr hat R. Weser nähere Forschungen angestellt (vgl. „Archiv". D. Red.).

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