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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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3. Heft
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Höhn, Heinrich: Dürers Kunst und die Natur, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0101
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Idee aber war, durch das treue und unablässig tiefer fastende Naturstudium
der Kunst der Zeit in Deutschland durchaus neue Grundlagen zu schaffen. In
seinen gedruckten Schriften, der Unterweisung „der Messung" (1525) und
der Proportionslehre (15 28), die eigentlich nur Teile eines geplanten größe-
ren Werkes „Die Speis der Malerknaben" sind, das er nicht mehr vollenden
konnte, hat er auch theoretisch seinen grundlegenden Absichten Ausdruck gege-
ben. Was er wollte, ist ihm auch gelungen, denn nun erst bekam man zu er-
fahren, wie der menschliche Körper zu verstehen und nach seinen organischen
Funktionen des Liegens, SitzenS, Stehens, Schreitcns und Greifens darzu-
stellen sei und waS denn eigentlich ein vollgültiges Porträt genannt werden
dürfe. Wenn die im Gebiet der Landschaftsschilderung ebenso durchgreifend
neuen Ergebniste Dürerscher Pionierarbeit nicht auch unmittelbar auf daS
künstlerische Schaffen der Zeit umgestaltend wirkten, so lag daS an dem be-
scheiden-studienhaften Charakter seiner landschaftlichen Blätter und daran,
daß die Zeit für eine selbständig-bildmäßige Ausformung der Landschaft noch
nicht recht reif war. Albrecht Altdorfer bat zwar das Motiv einer Wald-
straße mit Fernblick (München, alte Pinakothek) und zwar ohne jede figür-
liche Zutat zum Bild erhoben, doch blieb sein Beispiel vereinzelt und in der
deutschen Malerei der Zeit ohne Nachfolge.

Doch Dürers Naturbesitz bat nicht nur die eben berührte geschichtliche
Bedeutung. Der Schatz, den sein Genie aus dem unendlich fruchtbaren Bo-
den der Schöpfung zu heben verstand, glänzt noch heute herrlich wie an den
Tagen, da ihn zum erstenmal das Licht menschlichen Bewußtseins traf. Und
fragen wir nach den Gründen dafür, so dürfen wir sie einmal wohl darin fin-
den, daß in seinen Naturstudien eine Fähigkeit, Form, Umriß und Räumliches
sinnlich zu erfassen und zwingend zu vergegenwärtigen, sich auswirkt, die noch
heute, nach Jahrhunderten, da man doch mit der Natur wesentlich vertraute-
ren Umgang hat als in jenen ersten Zeiten ihrer Wiederentdeckung, nicht
überholt worden ist und zum andere« darin, daß Dürers geistiger Wille über
eine bloße Abbildung der Natur hinausdrängte. Gewiß überließ er sich gegen-
über der Natur mit Leidenschaft allen Entdeckerfreuden. Allein er blieb dabei
nicht stehen. Eine Überschätzung der Studie, wie sie dem Zeitalter Menzels
nur zu oft eigentümlich war, blieb ihm völlig fremd. Was er vor der Natur
machte, war ihm doch nur Baustein für höheren Zweck. Er arbeitete aus der
Fülle des Ganzen für ein Ganzes, und deshalb empfindet man auch einzelne
kleine, engumgrenzte Naturausschnitte von ihn» immer im Verband und
Rhythmus des Universums. Und wenn einer, so wußte er eö, daß Kunst nur
durch geistgeleitete Auslese aus der unendlichen Vielheit der Erscheinungen
entstehen kann. „Wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus
kann reißen, der hat sie," ruft er. Auf das Heraußreißen, auf die rechte, von
einem Gedanken bestimmte Wahl kommt es an. Mit Hilfe künstlerischer
Naturerkundung und mit Anteilnahme der ganzen Seele die Natur neu
zu erschaffen, ist der Sinn des gesamten LebenSwerkeS Dürers. Dann
aber wird der „versammelet heimlich Schatz des Herrn offenbar durch das Werk
und die neue Kreatur, die einer in seinem Herzen schöpft in der Gestalt eines Dings."

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