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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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4. Heft
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Spektator: Von der Stuttgarter Ausstellung im Diözesanjubiläumsjahr: Religiöse Kunst der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0125
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günstiger Umstand, der das meist mit unsäglichen Mühen verbundene AuSsteÜungSwerk als
würdiges Denkmal des Diözesanjubiläums *um Erfolg führen konnte, war die Persön-
lichkeit des derzeitigen Vorstands des Kunstvereins der Diözese Rottcnburg, der noch mehr
wie sein hochverdienter Vorgänger, Prof. Dr. Rohr, die Ströme des neuen künstlerischen
Sehens und Empfindens, modernen Kunstwollens und -formens in das teilweise versandete
Vett christlicher Kunst der Neuzeit zu leiten bestrebt ist, Pfarrer Albert Pfeffer in
Lautlingen. Und auch an der Spitze des Bistums steht ein neuer Obcrhirte, Bischof
Dr. Joh. S p r o l l, der dem neuzeitlichen Kunstschaffen auf religiös-kirchlichem Gebiet
keine schroff ablehnende Haltung entgegenbringi und jedem nicht überextremen Bildhauer
und Maler von erprobter Qualität die Pforten der ihm unterstellten Pfarrkirchen zu öffnen
bereit ist.

Ein Wagnis war die Ausstellung religiöser Gegenwartskunst nicht nur in Hinsicht auf
die materiell und auch persönlich schwächere Hinterlage des veranstaltenden Vereins, die
Ausstellungömüdigkcit oder materialistische Einstellung vieler moderner Bevölkerungskreise;
nicht weniger kritisch ist aber auch die Lage der jüngsten Gegenwartskunst, an deren
chaotischer Zerfahrenheit die religiöse Gegenwartskunst zum guten Teil mitleidet, und dem-
entsprechend auch die Stellung des Publikums zu der einen wie der anderen. Leidenschaft-
lichste Bewunderung oder schroffste Ablehnung begegnet den kaleidoskopartig seit der Jahr-
hundertwende sich ablöscnden Kunftftrömungen, den Ausläufern des Impressionismus, dem
Erpressionismus, seinen Vor- und Nachläufern, all den ungebärdigen Sprossen einer
abstrakten, Wirklichkeit und Leben abgcwandten Kunst bis zum eben erlebten Umschwung
zum Stil der „Neuen Sachlichkeit". E§ sind lauter Symbole oder Ausdrucksformen
geistiger und künstlerischer Revolutionen vor und nach dem großen politischen Umsturz,
Tendenzen, die die bisherigen Formen künstlerischer Aussprache sprengen mußten. Wir
erlebten eine nicht mit Unrecht so genannte „Bolschewisierung der Kunst", am meisten auf
dem Gebiet der Malerei, die dem Schwelgen im Rausch der Farben oder in den Ver-
zerrungen kubistischer Körper den geringsten Widerstand entgegensetzte. Die völlige Abwen-
dung vom Gegenständlichen, vom Wirklichen rächte sich nur zu bald; das Objekt, das Gesetz,
der Verstand verlangte wieder seine Rechte nach dem AuStobcn des Subjektivismus, des
Natur- und Triebhaften, der gefühlsmäßigen Erregtheit. Die ganze erpressionistische
Schwarmgcisterei, die nach der einseitigen Verstandeskultur und naturwissenschaftlich-tech-
nischen Einstellung des Impressionismus in manchen Belangen berechtigte Reaktion war
und manch tiefere Wirkungen in Dichtung und Kunst, Theater und Leben hervorgebracht
und zurückgelassen hat, ist im Erlahmen. Bei der traditionellen konservativen Richtung des
größten Teils der katholischen Geistlichkeit und auch Künstlerschaft hat diese Richtung ihre
Orgien auf dem Gebiet katholischer Kirchenkunst weniger feiern können. Ihren lahmen
Flügelschlag kann man noch auf der jüngsten Ausstellung wahrnehmen. Es hat da seinen
besonderen Reiz, in solchen Übergangszeiten die Auseinandersetzungen zwischen Altem und
Neuem oder das Jncinandergrcifcn beider Auffassungen und Formcnsprachen zu beobachten.
Anregendes, freilich auch Aufregendes bietet eine solche Schau in das Chaos der Strö-
mungen, ihres Nebeneinanders und IneinanderS. Solange wir keine einheitliche, das ganze
Volk erfassende Kunst haben — und wir sehnen uns danach seit bald hundert Jahren —,
müssen nach einem geistreichen Gedankensplitter eines modernen Autors (Aphorismus Traut-
manns) Kunstausstellungen nur zuviel dazu dienen, Ausstellungen an der Kunst zu machen.
Auch liberale, weltanschaulich ganz unvoreingenommene Kunstkritiker vermissen an vielen
„Jungen oder Jüngsten" der Zunft das handtckerkliche Können, das über dem Schwelgen
in Erlebnissen, in Farben oder Ideen verloren ging, oder beklagen das bloße Ringen um
formale Probleme unter Hintansetzung des Inhaltlichen, daß selbst bei den Führern von
künstlerischen Bewegungen, Schulen und „iSmen" aller Art das theoretische „Ich will"
stärker sei als das gestaltende „Ich kann".

Ohne uns hier zunächst auf den allmählich überall entbrannten Streit um die neue
christliche Kunst einzulassen, halten wir es mit dem Redner auf der letztjährigcn Dortmunder
Deutschen Katholikentagung, Konservator Professor Dr. Lill, dem Herausgeber der Mün-
chener Monatsschrift „Die christliche Kunst". Er wahrt das volle Recht des neueren Kunst-

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