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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 43.1928

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4. Heft
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Spektator: Von der Stuttgarter Ausstellung im Diözesanjubiläumsjahr: Religiöse Kunst der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.15946#0134
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mit Unrecht an den heutigen Künstlergruppen und ihrem Sinn für elementares und höheres
Zeichnen irre werden möchte, der schöpft hier in dieser Überfülle graphischer Blätter frohe Zu-
oersicht, daß nochHunderte, allem erpressionistischen „Los von der Natur!" zum Trotz der Natur
ihre Linien ablauschen und mit Kohle und Stift, Nadel und Feder festzuhalten sich abmühen
und lernen wollen. Gegenüber dem Unvermögen neuzeitlicher Primitiven, Negroiden, dem
Gekritzel von Kindern, Irren und Wilden ebenbürtiger Pinsler und Klercr, das selbst in
Ausstellungen, Büchern, Zeitschriften, selbst in letzten Abschnitten neuester Kunstgeschichten
Aufnahme finden konnte oder mußte, begegnen wir hier in dieser Stuttgarter Ausstellung
Höhenleiftungen christlicher Graphik; manche Blättchen solcher Schwarzweißkunst im kleinen
Saal möchte man für große Leinwandbilder draußen tauschen ob ihrer soliden Technik, ihrer
erfinderischen Frische, ihres köstlichen Inhalts. Auch manche expressionistischen Maler wissen
auf ihren Studienblättern dem Linearen wieder sein Recht gegenüber der Vorherrschaft der
alles verschlingenden Farbe geltend zu machen. A. S ch e n k S Handftudien, H. B r a u n s
Federzeichnungen (Franziskusserie), Aug. Brauns handkolorierte Drucke, S t i r n e r s
farbige Holzschnitte, kolorierte Radierungen, Temperabilder, Blepps und Kuhns
farbige Skizzen zu Kirchengemälden, des DavoscrS Jos. M e d l e r Holzschnitte, wie Ab-
schied, Mönche vor Toten, Kapuziner (Oouiu adoro, fiscum [?] peto, Musis inservio
Devise!), A. L. Schmitts Kohlezeichnungen, Professor Alexander Esseners
(Stuttgart) und Alfred V o l l m a r s (Ulm) Radierungen verraten nicht nur künst-
lerisches Wollen, sondern auch technisches Können in hohem und teilweise höchstem Grade.
Auch zwei Frauen, Mathilde Eisgruber (Nürnberg) mit ihren entzückenden
Aquarellen und farbigen Holzschnitten eines gedruckten Büchleins „Marienleben", und
L u i s e H o f f (Sigmaringen) mit ihren köstlichen Exlibris (eines für Pfarrer Pfeffer mit
Madonna) und Scherenschnitten reihen sich ebenbürtig den Meistern von Pinsel, Meißel
und Feder an.

Woran alle gedruckten Kritiken stillschweigend vorübergegangen, sei als letztes, nicht
mindestes, ja in einer Hinsicht bestes Blatt hier hervorgehoben, und mit dem Meister des
Werks des Stuttgarters R. gedacht, der mit dem Berichterstatter bewundernd lange davor
stehen blieb. Professor Albert Schiller (Stuttgart) stellt nach langer Abwesenheit
und allzu langem Schweigen ein kleines Pastell aus, das durch seinen geheimnisvollen Inhalt
noch mehr als durch seine hochkultivierte Technik vor allem den Theologen und Jkonographen
fesseln muß. Drei Köpfe, strahlend von Macht und Weisheit und Güte und Heiligkeit, in
verschiedener, abnehmender Größe untereinander so wundersam zu einem einzigen Haupt
vereint, sollen das abgrundtiefe Mysterium der heiligen Dreifaltigkeit veranschaulichen, in
das Riescngeifter wie Augustinus in Zeit und Ewigkeit sich nicht genug versenken können.
Farbe und Linienführung, Zeichnung und Modellierung mögen vom Künstler zeugen; geist-
volle Erfindung, die Tiefe der Idee, die Ehrfurcht vor dem Glaubensgeheimnis bezeugen
den Denker und Forscher, den betenden Maler und malenden Beter. Gegenüber der alten,
öfters nachweisbaren Dreifaltigkeitsdarstellung, drei Gesichte neben einander (Irivultius),
die dann allerdings kirchlich verboten wurde, wie das in gotischer Zeit nicht seltene Drei-
männerbild'H, bedeutet der Schillersche Typus mit den drei Häuptern unter- und ineinander,
die wohl in das obige Trivulzio-Verbot nicht eingeschlossen sind, eine hochbedeutsame
Neuerung.

III.

Was von den guten und bösen Tagen, gilt auch von Tagungen und Veranstaltungen der
Kunst: die Kunstausstellungen folgen einander, aber gleichen sich nicht. Aus der Zahl der
einander folgenden, ja jagenden Kunftschauen hebt sich unsere DiözesanjubiläumSauSftcllung
inhaltlich und auch formell zweifellos ab. Sie war kein alltägliches Ereignis am Kunst-
markt. Wohl hat sie nicht sovicle Tausende anzulocken vermocht wie andere großstädtische
Sensationen mit reichlichem Fleischmarktbetrieb. Man hörte in der letzten Ausstellungs-
woche von 2000 Besuchern. Wie auch der Referent sich überzeugen konnte, haben Dutzende

12) Vgl. Künstle, Ikonographie l, 22Z.

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