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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 44.1929

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Heft 4
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Spectator, A.: "Kirchliche Kunst der Gegenwart" auf der Stuttgarter Ausstellung des evgl. Vereins für christl. Kunst 1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.15947#0140

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und beklagt die Armut protestantischer Ikonographie, wenn man so sagen darf und
ihr den Reichtum der Ausprägung biblischer, liturgischer, legendärer Typen gegen-
überstellt, wie ihn die Entwicklung der christlichen Kunst vor der auch nach dem
Merkurartikel auf dem Gebiet der Kunst wirklich nicht segensreich wirkenden
Reformation aufzeigt und die neueren Werke über christliche Ikonographie von Detzel
und Künstle in gewisser Auswahl zusammenstellen. Entweder fehlt es an der tief
innerlichen religiösen Geisteshaltung, am Wesentlichen, „der inneren Berührung,
ganz einfach gesagt der Glaube", bekennt selbst das Stuttgarter Neue Tagblatt, oder
an neuer künstlerischer Ausdruckssprache oder an beiden zusammen. „Die Mehrzahl
der hier vereinigten Künstler bleibt im Illustrativen stecken, erbaulich erzählende
Darstellungen aus der biblischen Geschichte, bic dem religiösen Gemüt vertraut sind,
aber dem Beschauer kein religiöses Erlebnis durch das magische Mittel der Kunst
geben können. Eine sinnbildliche Hinlenkung des Mldbetrachtens zu christlichen
Glaubensinhalten kann den Aufgaben der Kirche dienen, braucht aber noch nicht
religiöse Kunst im strengen Wortsinn zu sein." Diese treffliche Bemerkung des
Kunstreferenten der Süddeutschen Zeitung F. Sch. über die vielen, allzuvielen Bilder
dieser Art sei hier auch deshalb angeführt, weil sie auch auf ein gut Teil katholischer
Kirchenkunft alter und neuer Zeit zutrifft und auch bei uns an solchen matten,
blutleeren, erlebnisarmen Bildern und Statuen kein Mangel ist, von den die prote-
stantische Seite glücklicherweise nicht belastenden Wallfahrts- und anderen Kult-
artikelindustrien ganz abgesehen. Dieser Masse von modernem Kitsch und Schund
gegenüber, der sich auf den verschiedenen Gebieten katholischer Volksfrömmigkeit breit
macht, aber vom Hochstand katholischer Volkskunst bis in den Anfang des letzten
Jahrhunderts hinein weit entfernt ist, hat der nach dem Ausstellungsartikel des
Merkur lange genug „bilderfeindliche" Protestantismus allerdings weit weniger
Mißgriffe zu beklagen, dafiir fehlt ihm größtenteils jener unerschöpfliche Reichtum
an echter Volkskunst, die Religion und Leben durch tausend künstlerische Fäden
verknüpft, deren Kleinodien aus Bürger- und Bauernstuben unsere Museen heute
füllen. Dafür muß sich selbst der Großteil der auf der heurigen Kunstschau des
protestantischen Württembergs zusammengetragenen Bilder von einem gewiß unver-
dächtigen evangelischen Glaubensgenossen charakterisieren lassen: „So ist der Gesamt-
durchschnitt in der Malerei, die die schaffenden gegenwärtigen Namen aufzeigen soll,
kein erfreulicher. Man kann sich des Eindrucks der Langenweile und oft einer
Traktätchenkunst nicht erwehren. "^)

Was' ich zum Schluß als letzte Frucht dieses Ausstellungsberichts, der Betrachtung
der Ausstellungswerke und des Studiums der Referate über die evangelische Kirchen-
kunstausstellung von 1929, vom Baume der christlichen Kunst in der Schwesterkirche
pflücken möchte, das ist schließlich das Erfreulichste an dem mannigfachen Unerfreu-
lichen, das die beiden Kunstausstellungen aus beiden Lagern — an zuviel und an
zu wenig — boten: ich meine die herzerquicklich offene, freimütige Kritik, die Kunst-
und Kirchengenossen aus dem eigenen Lager und zwar aller Schattierungen vom
demokratischen über das liberale bis zum konservativen führenden Landesblatt, wie
es scheint, ohne ernstlichen Widerspruch, üben konnten und dursten — auch eine
Bürgschaft für vielleicht rasch erfolgenden An- und Durchbruch des Bessern! Wie
eigene und fremde Erfahrung leider lehrt, können Künstler wie Auftraggeber auf
unserer Seite, d. h. auf dem Gebiet katholischer Kirchenkunst, recht viel aus solcher
Diskretion in Lob und Tadel lernen. Bon zwei ganz Großen in der menschlichen
Geistesgeschichte, Priester und Künstler, wissen wir, daß sie solche Kritik im höchsten
und schwersten Maße übten und ertrugen, Julius H. und Michelangelo. Kann man
solch säkulare Geistesgröße bei diesem stets notwendigen Zweibund der ars ebristiana
von heute wohl nirgends finden, wird doch auch fiir unsere Tage noch Horazens
Wort Geltung haben und behalten: 8int Uaeesnatss, non ckerunt, Flacce, Marones.

15) Eannstatter Zeitung Nr. 167 vom 19. Juli 1929.

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