Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Affenspiegel: satyrische Wochenschrift — 1901

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48272#0042
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext




Schmäht mir die Not nicht, die Schwester der
Freiheit!
In ihren Brüsten blüht ewige Kraft.
Urgewalt, die in schwellendem Wachstum
Reiche zertrümmert, Welten erschafft.
Ihre Augen sind Sonnenrader,
Ihre Stirne ist hart wie Stahl.
Ihre Lippe» brenne» nnd glühen
wie die Schale vom heiligen Gral.
Ihr, deren Mark die Wucherzinsen,
Die ihr bezahlt für das tägliche Brot!
Ihr, deren Nacken verlernt zn trotzen,
Ewig sich beugend Bastardengebot —
Klaget nicht, daß auf euere Rücken
Grausam die Not die Geißel schwang!
Klaget nicht, wenn ihr wildes Höhnen
Schmerzend in euere Ghren drang!

Hunger ist die Werbetrommel,
Die sie für die Freiheit rührt.
Trotziger Mut ist das Handgeld des Kämpen,
Den sie für die Freiheit kürt.
Und sie tritt in morsche Hütten,
Löst die Geißel vom mächtigen Leib,
Peitscht den Mann aus seinem Stumpfsinn,
wirbt mit Verzweiflung das säugende Weib —
Und sie tritt in die Fabriken,
wo Maschinen sich fauchend dreh'»,
Wo die Männer in sengender Hitze
Teufeln gleich bei den Gefen steh n —
Und sie fährt in fenchte Schachte,
wo die Freude in Nacht versinkt,
wo der Tod in gierigen Zügen
Blut und Mark aus den Leibern trinkt —

Und sie steigt zn de» höchsten Gerüsten,
wo schmnckschweren Kronen gleich
Um das Haupt die Wolken sich winden —
Schwindelerregend, todesweich —
Und sie geht, wo das Gesindel
Barfuß sich durch s Leben schlägt,
Macht Kameradschaft auf staubiger Heerstraß,
woman nach Herkunftnnd Namennichtfrägt—
Geht zu allen, deren Zähne
Knirschen unter schändlichem Ioch,
Da der Stolz in die tiefsten Winkel
Des verschwiegenen Herzens kroch —
Geht zu allen Enterbten und Kranken,
Peitscht sie auf und predigt das Recht:
Rüstet, rüstet, es naht die Stunde,
Da ihr die Ketten der Roheit brecht I

Rüstet! Rüstet! Die Freiheit schickt mich,
Hoffend, daß auf euch verlaß.
Rüstet! Rüstet! Und euere Waffen
Schärfet nnd stärket mit Wut »nd Haß!
Rüstet! Rüstet! Seid ihr deun Memmen,
Daß ihr in feiger Ruhe entnervt?
Auf! die Stunde naht, da voin Sockel
Ihr die goldenen Kälber werft!
Rüstet! Rüstet! Die Freiheit braucht Männer,
Die die Not zum Recht geschult.
Daß sie die Nattern in Staub zertreten,
Die mit dein Recht wie mit Dirnen gebuhlt!
Rüstet! Daß in eueren Stirnen
Nicht das Hirn zu Brei erschlafftI
Daß ihr Kraft gen Kraft könnt sehen,
Wissen gegen Wissenschafti

Rüstet! Der Freiheit rühr' ich die Trommel,
Und mein Name ist die Not!
Hurtig! Schait euch meine Fahnen!
Unterwerft euch meinem Gebot:
Seiet tapfer, zäh nnd fleißig!
Seiet trotzig, nnbengsam und schlan!
Daß ihr Stein um Stein abtraget
von der Zwingburg höhnendem Ban!
Nimmer werd ich ruh'» noch rasten,
Bis der Freiheit Sieg und Ruhm!
Ich bin der Iünger, sie der Messias!
Unsere Lehre Christentum!
Darum rüstet! Rüstet! Rüstet!
Zeigt euch des Messias wert'
Gerne geh ich zn den Toten,
wenn ich kann ruhen in freier Erd' — -

G diese DieusMeu!
Der Herr Pfarrer war ein guter Mann! Seine Pfarr-
kinder waren im Allgemeinen recht zufrieden mit ihm und vergaßen
nicht, ihre Anerkennung oftmals in recht brauchbaren Dingen, wie
Gänsen, Gockeln und sonstigen Leckerbissen, auszudrücken, wenn
irgend ein Schmerzen sie in das Pfarrhaus trieb, nm dort guten
Rat und Aufschluß für ihre zarten Aufmerksamkeiten einzntauschen.
Nur in einem Punkte gingen die Ansichten des Herrn
Pfarrers und seiner halsstarrigen Bauern weit auseinander, —
bei den Dienstboten!
So oft auch der gute Seelenhirte von der Kanzel seinen
Schäslein klar machen wollte, wie nützlich und angenehm es sei,
mit den Untergebenen gut auszukommen, so wenig konnte er
einen merklichen Einfluß gewahr werden und es gab seiner
Behaglichkeit immer einen Stoß, wenn ihm wieder ein neuer
Spektakel zu Ohren kam, den irgend ein Bauer mit seinem
Knechte verbrochen hatte.
Das ganze Dorf war beständig in zwei Kriegsparteien
gespalten und die Ermahnungen des Pfarrers dienten noch vollends
dazu, jeder derselben diesen Zustand bei schönstem Bewußtsein
zu erhalten.
Die Burschen, die zu den Soldaten in die Stadt mußten,
kamen oft gleich gar nicht wieder, zogen andere auch mit hinein,
und die Mägde machten es ihnen nach, um sich in kurzer Zeit
in stramme Köchinnen zn verwandeln.
Das wurmte die Bauern ganz verflucht, denn nun sollten sie
auch so bezahlen wie die Städter, und beim Geldbeutel hört sich eben
immer die Gemüthlichkeit auf.
Der Herr Pfarrer dagegen hatte gut lachen.
Der hatte einen schönen, großen Hof, runde Einnahmen und
seine Köchin, aber keine zehn Kinder.
Und als neulich seine alte Gefährtin gestorben war — es
war schnell mit ihr gegangen — da nahm er sich die bildsanbere
Rosel vom Wnrmbauern zur Haushälterin, damit sie den Pfarrhof
und seine Bedürfnisse in schöner Ordnung erhalte nnd führe, und
es war leicht erklärlich, daß die Sonne der Zufriedenheit aus dem
rundlichen, hochwürdigen Antlitz strahlte. —-
Da >var nun wieder ein schöner, heißer Tag, ein Sonntag
voller Sonne nnd Fruchtbarkeit. Und da trieb es denn den Herrn
Pfarrer anch hinaus, und er wandelte bedächtig zum nahen Forste.
Der rauschende Wald mit seinen dunklen Tannen, trotzigen
Eichen, Gräsern und weichen Moosen stimmte ihn schwärmerisch,
und in der Nähe eines dichten Brombeerstrauches beschloß er, sich
auf das fammtene Lager zu strecken, das die Natnr hier hergerichtet,
um auf ein Weilchen Alter und Pflicht, Bauern und Bischof zu
vergessen und jung zu sein in herrlicher Freiheit.
Schon schwebten seine Gedanken in Regionen. die von
Eiferern sicher als sehr sündhaft bezeichnet worden wären, als er
plötzlich hinter dem Brombeerbnsch einen schnalzenden Laut zu
vernehmen glaubte, der ihm wie ein Kuß vorgekommen war.
Es befiel ihn eine Aufregung, daß er an allen Gliedern
zitterte, und nun hörte er ganz deutlich, wie eine zärtliche Stimme
leise fragte: „Schatz, bist Du auch eingeschlafen?"
Und nun schnalzte nochmals ein Kuß, aber kräftiger, glühender,
und dann wieder in leises Lachen nnd Tuscheln nnd ein Rauschen
wie von Weiberröcken.
Der Schweiß stand dem Pfarrer auf der Stirne, als er
solches hören mußte, und er konnte sich nicht mehr halten und
kroch ans allen Vieren unhörbar übers weiche Moos, um zu sehen,
ob sich sein schrecklicher Verdacht bestätige, der ihm plötzlich in die
Seele gefahren war und seinen Hals zuschnürte, daß er fast
ersticken wollte.
Bald gewann er einen'Durchblick durch's Gestrüpp nnd sah
nun — o, es wurde ihm ganz schwarz vor den Augen — einen
blühenden Burschen, der seine — seine Rosel in den Armen hielt nnd
Himmel nnd Erde zu vergessen schien vor lauter Entzücken-
Ganz wirr im Kopfe, wie zermalmt nnd zerschlagen, lag er
einen kurzen Moment, jäh aus allen süßen Träumen geworfen;
dann zog er sich wieder eiligst nnd scheu zurück nnd stürzte
aus dem Walde, voll des tiefsten Ingrimms über solch' schmähliche
Mißachtung seiner heiligen Rechte, bis er sich endlich in dem
zornigen Monologe Luft machte:
,,Ja Bauern, ihr habt Recht! Die Dienstboten heutzutage
sind wirklich nicht mehr zufrieden zu stellen!"
Egidins Muck.



tNSI' ui

''lil IUI1 tl <t!
I n >III> itinili
Ikil'Iilllll I liilll

IUM u IUI Ul!
_IIIMl ll NI! U'N
I u I.UI'I! I

llllll»!! I I Hüll Uli t«l
ü'ttlUII I I!» I III

^ine kierrliclie Welt.

IVlsin Bisbstsr ist «in Uranksr IVIann,
lotr trab' ibn trotricksrn lisb.
Bin za ctas Bin^i^s aus cksr Wslk,
Was itirn vorn Bsbsn vsrblisb.
Br brauobks Waris onct -Vrrnsi,
Unci kiadsn lcsin Oslct irn Blaus,
Icknct käß-tiob Oäsbs. Btsnck cinck Blök
Osb'n da! uns sin unct aus.
Worin iob auov Da^ kür Da^,
I^Iaob Olsrist unct -Vrbsit sciob',
Sis spsissn mit ^isri^sm Bäobsln mioti ad —
— Oss arrnsn Wsibss Bluoti!
Bs 8i«t>t za IVliklsick auf Brcisn so visi,
Ooob ist's Eins tsusrs War'.
Oisbis niotit: aut Batsn unct niotit aut Lrsckit,
Bs^ablsn vsisst's — in baar.
Oa sotrvvat^sn sis alls Kirotisn voll
Von Oott unct Otiristsntum,
Onct ctrstisn mit ctsr tsinstsn IVIanisr
Osr WatirtiSit ctsn KraUSn um!
Sis wisssn r:u rsotinsn — Oolct ^sß-sn Kust!
Osr l-ianctsl ist t>ünctisot> unct sobvvsr.
IVIuss für ctas bisobsn Bsbsnsßklüotc
Vsrsokiaotisrn Bsitr unct Bbr'.
Wis Osisr sinci sis naoti mir aus —
Iot> drinZc' msinsm Lobato' -Xrrnsi.
Br vvsiss ss niotit — sr stürds ctaran
lot» bin za so lustig ctabsi!
IVlsin Bistrstsr ist sin I<rani<sr IVIann,
Oas Bstrsn kcostst Oslct.
Brtiursn wir also ctas bisobso Olüotc —
Ist's niotit sins tisrrliotis Wsit-?
ködert Hermann.

^5

I

li UM"''!'»
WM
'WU

Das MälchM vom "MtMgW.

Das Ivar um jene Zeit, da die Hexen noch auf Erden ihr Un-
wesen trieben und gute Feen die Menschen beschützten. Da lebte in
einer Hütte nahe am Meece ein junger Fischer, der war häßlich an
Angesicht nnd bucklig von Gestalt. Seine Mntter war eine Nymphe
des Meeres gewesen und sein Vater ein Fischer, der in den Wellen
seinen Tod gefunden.
Und wie die Nymphe ihr Kind geboren, da hatte ein furchtbarer
Sturm das neugeborene Knäblein gegen den Strand geworfen, so daß
es gebrechlich und häßlich wurde.
Arme Fischer hatten den Findling ausgenommen nnd großgezogen ;
aber sie konnten ihn nicht liebgewinnen, weil er so häßlich war.
Niemand im Dorfe mochte ihn leiden.
Wenn er mit seinen kleinen Beinen nnd dem großen Kopf, der
eingeklemmt zwischen den eckigen Schultern saß, die Netze zog, mußten
Alle sich Mühe geben, nicht zn lachen. Und der Kleine merkte das
und konnte seines Lebens nicht froh werden. Eine tiefe Sehnsucht
hielt sein Herz umfangen und ließ es nicht zur Ruhe kommen, die
Sehnsucht nach Liebe, nach einem einzigen Sonnenstrahle der Liebe.
Und einmal, als er ein Jüngling war, saß er am Meere nnd
fischte. Da trat ein liebreizendes Mädchen an ihn heran nnd fragte
ihn, was er treibe.
„Ich fische" sagte er nnd ward so rot wie die Krebse, die in
seinem Netze zappelten.
Und er wunderte sich über ihre Schönheit nnd Unschuld. Ihre
Wangen waren milchweiß und wenn sie sprach, schimmerten ihre
Lippen wie frische Küsse.
„Das ist die Liebe", dachte er, nnd die Sehnsucht nnd das
Verlangen nach ihr schnürte ihm die Brust zn nnd raubte ihm den
Atem —
„Bist Du die Liebe?" fragte er, während das Netz langsam
seinen bebenden Händen entglitt.
„Ja" erwiederte sie lachend, „ich bin die Liebe".
„Dann liebe mich" jauchzte er auf nnd warf sich zn ihren
Füßen.
„Dich lieben ?" frug leise das junge Mädchen nnd begann zu
lachen. „Dich lieben? —- Aber Du bist ja häßlich, wie soll ich Dich
lieben können?"
Und immer lauter lachend eilte sie davon.
Der kleine Bucklige war am Strande liegen geblieben. Er regte
sich nicht. Nur von Zeit zu Zeit erschütterte ein Schluchzen seinen
Körper, nnd der Sand rings nm ihn ward naß von seinen Thränen.
Als er endlich aufstand, da war es Nacht nnd traurig schienen die
bleichen Sterne. Die schönen Augen des Buckligen waren dunkel ge-
worden und ein böses Feuer sprühte aus ihnen.
Und langsam ging er den Strand hinab und rief nach der
Mutter:
„Wenn Du eine Tote des Meeres bist, o Mutter, wie die Leute
sagen, wenn Dich der Sturm verschlungen nnd die Wellen zur Königin
der Wogen getragen, so bitte für mich, auf daß ich mich rächen kann
an der Liebe. Warum mußte ich häßlich sein und bucklig? Was
habe ich gethan, daß die Menschen mich schmähen und die Liebe
meiner spottet?" —
Und als er so sprach, stieg eine schwarzlockige Fran ans den
Tiefen der See nnd setzte sich zu ihm.
„Mein armes Kind" sprach sie, „die Menschen sind schlecht nnd
die Liebe ist grausam. Es liegt nicht in meiner Macht, Dich zu
heilen und Deine Glieder ebenmäßig zn formen, aber ich will Dir
helfen, daß Du Dich rächen kannst an der Liebe".
Damit verschwand sie; sie stieg hinab in das Reich der Zwerge,
tausend Meilen tief unter dem Meere, und klagte ihnen ihr Leid.
Die Zwerge umringten sie nnd horchten aufmerksam ihren Worten.
„Wir alle hassen die Liebe" sagten sie, als die Meerfrau geendet,
„denn sie ist übermütig nnd grausam nnd vernichtet alle Schönheit auf
Erden. Wir wollen Dir etwas schaffen, daß Dein Sohn Macht ge-
winnt über sie und ihre Geschöpfe".
Und sieben Jahre arbeiteten die Zwerge ununterbrochen an einem
Instrument, wie die Meerfrau nie ein solches gesehen. Geheimnis-
volle Zeichen und Runen waren in das Holz geschnitzt, das vier
Saiten trug, die mit einem Bogen, feiner und zarter wie der Blüten-
staub der Lotos, in Bewegung gesetzt wurden.
Und das klang so traurig, daß man weinen mußte.
Mit diesem Werke der emsigen Zwerge stieg die Meerfrau auf
die Erde nud gab es ihrem Sohne, dessen Herz sich mit Bitterkeit
gefüllt hatte die sieben Jahre hindurch.
„Spiele" sagte sie zu ihrem Kinde, „und Du wirst Macht ge-
winnen über Alle, die Dich verlachten".
Und damit tauchte sie zurück in die schäumenden Wogen, denn
die Uhr stand nahe vor Eins nnd nach Ablauf der Mitternachts-
stunde hätte sie sterben müssen, wäre sie auf Erden gewesen.

Der Jüngling aber setzte den Bogen an nnd spielte. Und siehe,
das klang wunderhold wie das Singen der Elfen im Mondschein,
die Klänge waren zarter als Sonnenstrahlen und weicher als Blumen-
staub, nnd ringsum verstummte die ganze Natnr nnd horchte.
Die Elfen kamen nnd staunten, die Fischer kamen gelaufen nnd
horchten, selbst die Zwerge stiegen ans ihrem Reiche, nm den Klang
zu hören, der die Himmel erzittern machte.
Und der Spielmann zog in die Welt.
„Spiele! spiele!" hatten die Fischer gerufen, als er von ihnen
ging, „bleibe bei uns und spiele, sonst müssen wir sterben".
Er aber zog fort, nnd die Sehnsucht brach den Fischern das
Herz. Sie mußten alle sterben, weil sie nicht mehr spiele» hörten.
Der Sohn der Meerfrau zog hinaus in die Welt, nm die Liebe
zn suchen.
Er spielte vor Königsthronen und in den Hütten der Armen,
nnd Alle, die ihn hörten, waren bezaubert nnd mußten sterben, wenn
er sie verließ.
Wenn er ins Land kam, hüteten die Eltern doppelt alle Jung-
frauen nnd die Männer griffen nach ihren Dolchen; niemand aber
konnte dem Zauber seiner Musik widerstehen. Alle Thiiren öffneten
sich von selbst, wenn er spielte, alle Frauen umschlangen seine Glieder
nnd bebten nnd baten nm seine Liebe.
Den Männern aber entfielen die Waffen.
Und der junge Spielmann lachte nnd schritt spielend über die
zuckenden Leiber der Frauen, nnd die Männer hinderten ihn nicht.
Denn er hatte Macht über Alle.
Und wohin er kam, zog der Tod durchs Land, der weiße, stille
Tod der Sehnsucht.
Und einmal saß er in einem Königsschlosse an einem Spring-
brunnen, da trat die Königin auf ihn zn und küßte demütig seine
Hände. Er aber spielte. Und vor ihm auf den Knieen, die Hände
gefaltet, lag die schöne Frau mit den blitzenden Diamanten an den
Fingern und der schweren, goldenen Krone in den Haaren und
weinte. Und da merkte er, daß sie die Liebe war.
Und er spielte.
Er spielte von einem Lied, das so groß und so traurig war,
daß die Burgen des ganzen Königreiches widerhallten von seinem
Leide, daß alle Frauen der ganzen Erde zu beteu begannen und seine
Augen sich mit heißen Thränen füllten, die doch längst das Meinen
verlernt.
Er spielte von einer Sehnsucht, die so stark war, daß die
Quellen zu rauschen anfhörten nnd die Tiere der Wälder starben,
daß die Blumen ans ihre Seelen vergaßen nnd nicht mehr dufteten
unter dem Banne des Wch's.
Und er spielte von einem Zorn, der so schrecklich war, daß die
Winde sich zn seinen Füßen kauerten und der Mond sein Haupt
verhüllte in dem Mantel seiner Wolken, daß die Erde bebte und die
fernen Städte zusammenstürzteu unter der Wucht seines Liedes.
Und wieder weinte seine Geige. Sie weinte, wie die Menschen
weinen, die keine Thränen mehr besitzen, deren Seufzer versiegt nnd
deren Klagen verstummt sind, sie weinte, wie der Tod nm das Leben
weint — blutig nnd furchtbar, heilig und stumm.
Und als er innehielt, da lag die Liebe tot zn seinen Füßen,
und die schwere, goldene Krone lag einsam im Sande. Und da
wußte er, daß sein Lied die Liebe getötet.
Und ein furchtbarer Schmerz ergriff ihn um die tote Liebe.
Nicht sterben hätte sie sollen, denn er hatte zehn Königreiche durch-
wandert, sie zn suchen.
Sein Lied aber hatte sie getötet.
Und eine wilde Wut ergriff ihn. Er packte die Geige nnd
warf sie weit, weit hinaus in das Meer; dann nahm er die Königin
in seine Arme und betete.
Aber sie blieb tot. Und er nahm die Nadeln aus ihren Haaren
nnd stach sich in die Adern, bis das Blut ringsum das Gras rot
färbte und langsam, leise das Leben aus ihm floh.
Und das Meer rauschte und eine heilige Musik tönte leise zn
ihm herüber, süß und leise, immer tiefer, immer wunderbarer, immer
herrlicher, und da starb er.
Die Geige im Meere aber tönt fort nnd fort, denn die Wellen
spielen in den Saiten das ewige Lied der Sehnsucht — — — —
Und wer in die Nähe des Meeres kommt, ans dessen Grund
die Geige ruht, der erinnert sich an die Liebe, die er sein Lebenlang
gesucht, und die doch schon so lange, so lange gestorben.
Und wenn er nicht flieht, weit, weit weg, dorthin, wo die
Menschen lachen und keine Liebe kennen, dann muß er sterben.
Denn die Musik des Meeres ist traurig und tötet Alle, die die
Liebe suchen — — —

*) Aus „Weiße Rächte", Märchen von Robert Heymann.

Der Affenspiegel: Revigiert und herausgegeben von Robert Heymann, Amalienstraße 18/11. Für die Redaktion verantwortlich: Valentin Karl, beide in München. — Druck und Verlag „Frührot" München.
 
Annotationen