Lippen kräuselten sich.
„Ich meinte aber auch „denkende" Menschen, Herr
„Ihre Malicen greisen bei mir nicht mehr an. Ich
glaube, ich werde melancholisch. Zu
Kind. Ich habe dir gleich gesagt,
Prost Fritz!"
mehr
sprühenden
Witz mit
ihren
dumme Leben, dachte
sich heran und nennt ihm
versinken im
Der Affenspiegel: Redigiert und herausgegeben von Robert
Mann,
Frauen
das Leben ersäufen im Sekt. Wozu
nicht gut so? Ich trage Brillanten,
eine Adresse,
ohne Mantel
So etwas
Nur ein
über Meta,
empfinden.
So eine unendliche Müdigkeit überkommt sie. Der
Sie meint, die Hände aus-
kalte Gewebe.
Aber wo? Wo finden?
ihr Ohr: „Und ich sage Ihnen, Graf,
Die hohen Spiegel des luxuriösen Restaurants blitzten im Glanze dec Lustres.
Blendende Lichtwogen und eine angenehme Wärme durchfluteten den Raum- Die schweren
Teppiche, die abgetönten Farben der Tapeten, die tadellosen Gedecke, die Spiegel, die Palmen,
die stummen Kellner in den eleganten Fräcken, all' das erhöhte den Eindruck vornehmer Be-
haglichkeit.
Eine eigentümliche Leere, eine fast feierliche Einsamkeit gab sich knnd, die weder
durch das Helle Lachen noch den Pfropfenknall in einer durch künstliches Laubgewirr und
Palmen
Das
mich mit Luxus und Wohl-
traueru?
umgebe
das Andere, das Scheußliche, Entsetzliche
ist ein Handel — Gold gegen Lust —
unwillkürlich von einem der jungen Herren zum anderen — „mau kann cs sich durch
und etwas Schönheit erträglicher gestalten. Aber beides kostet Geld. Wer sich nun
Geld zu Tische setzt?"
Die Drei lachten. „Schon wieder Umstürzlerin!" drohte ihr vis a vis mit
Und
sich fort —r
Ja,
sie! Ist es
habenheit. Habe alles, was ich mir wünsche —
— muß ich es nicht mit in Kauf nehmen? Es
aber ein hündischer Handel. —
ihr, als klängen draußen Glocken. Und weich und müde stiebte der Schnee
Die drei jungen Leute stritten über Pferde und die besten Champagnermarken,
kam es wieder -- dieses beängstigende, traurige Gefühl, das ihr die Kehle
versteckten Nische hinweggetänscht werden konnte.
Drei Herren und eine Dame. —- Vornehme und lustige Leute. —
„Nehmen wir eben das Leben, wie es ist", meinte näselnd ein semmelblonder, junger
das Monokle einklemmend. „Ein fades Gedeck, das man sich durch Sekt und schöne
würzen muß. Nicht wahr, Meta?"
Meta war ein „brillantes Mädel" — nach Ansicht der jeunesse Uoree. Und wenn
die Kavaliere eine Dame ein „brillantes Mädel" nennen, so brauche ich dieser Charakteristik
nichts mehr hinzuzufügen.
Sie warf den fchönen Kopf zurück.
„Du hast Recht, Fritz — eines fades Gedeck ist das Leben" — ihre Augen schweiften
Sekt
ohne
Es war
vor dem Fenster.
Und da
heraufkroch und
So eine große starke Sehnsucht nach — ja wonach? Liebe? Ja, nach Liebe —
Sie wird doch nicht weinen? Soll sie sich so zeigen, vor denen — ?
„Kinder, raucht doch nicht so", sagte sie, „das treibt mir das Wasser in die Augen."
„Richtig", bemerkte Fritz. „Dein Ange hat einen geblichen Glanz, wie Schwefel.
Dein Gesicht ist rot wie der Kamm eines Hahnes. Man könnte meinen. Meta, Du weinst.
Ich habe Dich noch nie weinen sehen — das muß Dich uoch schöner machen." —
Sie kann sich nicht mehr beherrschen. Ist es der Wein, der Rauch, oder — Sie
eilt hinaus. Ihre Röcke knistern über den Teppich wie feines Feuer. Und dann steht sie
vor dem Portale — Alles ist still.
Schnee fällt wie ein weiter weicher Gazeschleier vom Himmel,
strecken zu müssen! nm sich einzuhüllen in das zarte.
Eine wilde Sehnsucht nach Glück packt sie.
Von innen heraus schlug Fritz's Stimme an
meine Fuchsstute" — — —
Ein Fiacker rollt vorbei. Sie winkt ihn zu
Der Kutscher denkt, sie sei toll. So im Seidenkleide, den Hals bloß,
und Hut — und was will sie in dem Armenviertel um diese Zeit?
Aber ihm kann es gleich sein. Er will verdienen. — Die Räder
Schnee, der sich wie ein mächtiges Eisbärenfell in den Gassen dehnt.
dem
Finger , ein alter Graf, der sich damit beschäftigte, in seinem Exterieur die Jugend zu
kopieren und dabei eine Karikatur des Alters -zu Stande brachte. „Wann endlich werden
Sie Ihre tiefsinnigen sozialen Probleme fallen lassen?"
„Ich halte das Problem weder für tiefsinnig uoch für umstürzlerisch", antwortete
Meta. „Jedem Menschen muß sich doch diese Frage aufdrängen, wenn er an einer wohl-
besorgten Tafel sitzt!"
gut! Sehr gut! O
Nüsse geknackt hatte
er einen ellenlangen
„Sehr
der bis dahin
saß, als hätte
gekommen!"
Metas
Lieutenant!"
„Schöne Meta" lachte dieser,
bin bereits kugelsicher".
Fritz, Metas momentaner legaler Liebhaber, Reserveoffizier nnd nebenbei Kavalier,
entkorkte eine neue Flasche.
„Na, Kinder, wir wollen doch nicht Sozialpolitik treiben! Daß uns die heilige
Hermandad noch als politische Verbrecher am Kragen kriegt! Prost!"
„Aber ich möchte doch die Ansicht der Herren kennen lernen" entgegnete Meta
eigensinnig.
„Wie soll sich ein Mensch das Leben erträglich machen, der kein Geld hat?"
„Hm, Schatz", meinte Fritz nachdenklich, „das ist eine schwierige Frage. Er kann
sich's eben nicht erträglich machen. Hast du schon etwas von einem Kismet gehört. Meta?
Nun gut. Es giebt glückliche Menschen auf der Erde und unglückliche — Kismet, das ist
Schicksal. Denn wenn es keine Unglücklichen gäbe, würde es wohl auch keine Glücklichen
geben. Wer nun aber zu den Unglückliche» gehört, muß sich eben damit abfinden — sein
Menn trocken vertilgen".
„Aber das ist keine Antwort" beharrte Meta.
Äh, Fränlein", warf der Alte dazwischen, sich den kahlen Kopf reibend, „der
Mensch muß eben — arbeiten! Ja, ja — äh, arbeiten! Arbeit ersetzt den Luxus!"
Die zwei anderen Kavaliere klatschten in die Hände. „Bravo, Graf, das ist eine
klassische Antwort".
„Sehen Sie", fnhr er fort, durch den Beifall geschmeichelt, „wir, die Geld haben,
müssen den Segen der Arbeit entbehren. Wir müssen uns also an den Luxus halten. Wie
sollten wir uns sonst mit dem Leben abfinden? Am Sekt übertrinkt man sich und schöne
Frauen — na ja, nichts für ungut — aber so Raceweiber wie Sie, Meta — hm, Pardon
— na ja. So ein armer Mann schleppt nicht wie wir den Balast herum, was man
so Bildung nennt, hat keinen Gourmandgaumen und stellt deshalb nicht die Ansprüche ans
Leben wie wir —
Wenn der so zwölf Stunden des Tages ordentlich arbeitet, meinetwegen bloß elf
Stunden, meinen Sie nicht. Meta, daß der keine Ansprüche mehr ans Leben stellt? Oder
glauben Sie, es dürstet ihn noch nach Sekt und schönen Frauen?"
„Wenn er nun aber nicht zwölf und nicht elf Stunden arbeiten will, Graf?"
„Ja dann — daun — dann hat der Kerl eben keine Moral im Leibe und soll
krepieren. Ein jeder Mensch muß den Platz im Leben ausfüllen, an den ihn das Schicksal
gestellt,
kommen!
Mir, schöne Meta" mischte sich der dritte ins Gespräch,
! und dessen Äußeres sofort den Offizier verrieth — er
Ladestock verschluckt — „mir ist diese Idee noch nie
Ich fülle meinen aus. Es können doch nicht alle als Minister auf die Welt
Und daß die Minister nichts zu thun haben, dafür können sie doch nichts!"
Eine sehr billige Moral" spottete Meta.
Gleichviel. Ich habe sie nicht gemacht. Das ist nun mal so im Leben. Die einen
denken, die andern arbeiten. Die einen sind Staatsstützen, herrschen, die anderen bilden die
aussührende Masse, gehorchen. Wo bliebe denn sonst die sittliche Ordnung?" Meta lachte,
und dabei fühlte sie in der Kehle so etwas wie Ekel.
„Prost Meta!"
„Prost, Graf!"
„Prost, Prost" — die Gläser klirrten.
„Reden wir nun einmal auch vou etwas Vernünftigem!" meinte der Lieutenant
ärgerlich. „Euer Quatsch ist langweilig. Wir sind doch hiehergekommen, um auf anständige
Weise die Zeit totzuschlagen. Ist ja nirgends was los heute! Wollen wir uns vielleicht hier
auch mopsen? Wollen Sie sich das nachsagen lassen, Meta?"
Nein, das wollte sie nicht. Wozu war sie denn da, wenn nicht zur Unterhaltung?
Diese Männer da bezahlten ihr Sekt und Leckerbissen, nnd sie hatte sie dafür zn unterhalten —
„Na Meta, was ist dir denn?"
Meta starrte vor sich nieder. Ein beklemmendes Gefühl schnürte ihr die Brust zusammen.
So etwas unendlich Trauriges — Merkwürdig! War es wirklich nur die Er-
innerung? Ja, das war es wohl, die Erinnerung an damals —-
Ihr war, als sei das ganze Zimmer mit dickem Rauch gefüllt, der ihr dem Athen: raubte.
„Nichts, Fritz", lachte fie schon wieder. „Ich
dumm, nicht?"
„Das macht der Käse von heute Mittag, mein
du sollst ihn nicht essen, er ist zu schwer."
„Ja, der Käse", lachte Meta. „Trinken wir!
Und sie tranken. Mit dem Weine kam die Lustigkeit, auch
Selbstvergessnes, Tolles, Wildes. Nicht mehr denken, nicht
traumhafter Taumel —
sie jubelte und riß die kleine Gesellschaft durch
Ihr hättet doch so hübsch
viel Geld geschickt!
dicker Qualm von
es
die alten Wände,
alten Bilder —
die
wärst,
wie de
schlechten Speisen
baufällige Treppe
die Beiden hören
kollert am Boden
wärs
fort
gute
Ich
und
an sich. Mutter fährt
von Vorwürfen und
„Wenn de bei uns jeblieben
viel uf Dich jehalten. Aber
haste von det biscken Dasein? Nischt haste. Nischt als Arbeit!
un wenn de trinkst, Meta, dann weßte von det janze lumpige
— wat ick noch sagen wollte — haste jar nischt bei dir?"
Meta legt ihr Portemonuni auf den Tisch. Vater nimmt
dann eine Flut
auf ihn zu und will es ihm entreißen. Und
Schimpfworten — — — —
Und Meta wirft einen langen Blick auf
sie kann nicht weinen.
Und dann wendet sie sich langsam nm.
— uet so wat! So wat! Vater! Vater! S' is die Meta!"
rührt sich nicht. „Ne, ne. Meta, wie kommste denn da ruf! Un so
So schön ! Und die Steine! Mein Jott, die Steine! Un det Kleid!
Meta hat ein Gefühl, als wehe ein eisiger Luftzug durch die Stube.
so" meint die Alte
Er hat ja immer
Un wie dann immer det viele Jeld kam, da hat 'r so
Sie lehnt in den Polstern und tränmt. Nach langer Fahrt hält der Wagen in
einem entlegenen Viertel.
Es schneit nicht mehr.
Wie eine Glaskugel steht hoch oben der Mond.
Der Schnee glänzt, aber die Häuser hier stehen schwarz und traurig. Kaum daß
aus einigen Fenstern ein Lichtstrahl dringt. Sie drückt dem Kutscher ein Geldstück in die Hand.
„Ra ick danke man och, Madamecken, ick danke och — —"
Sie sieht ihm nach, wie er sanseud davonfährt.
Dann tritt sie in ein baufälliges Haus. Ein alter Geruch vou
schlägt ihr entgegen und raubt ihr momentan den Athem. Sie steigt die
empor. Vor einer kleinen Thüre macht fie Halt.
Rings nm fie ist Finsternis, alles ist still. Leise tritt sie ein.
Ein kleiner, kalter Raum. Auf dem Tische eine Kerze. Und ein
Rauch und Dunst über allem. Sie schließt momentan die Augen.
Der Vater liegt halb augekleidet auf dem Sopha, von dem die Fetzen herabhängen.
Auf einem nmgestülpten Korb sitzt die Mutter und reibt sich die triefenden Augen —
Ja, aber ist denn das möglich? denkt Meta. Wie können sie hier existircn? Und
wie alt Beide geworden sind! —
Mutter ist aufgestanden. Sie schwankt etwas. Erst tritt sie auf die Schleppe von
Metas Kleid, dann erkennt sie ihre Tochter.
„Jesus Maria " - . -.
Aber Vater
schön Liste jeword'n.
Un" — sie stottert.
Sie schauert.
Die Mutter
läuft zum
„Vater! die Meta is da!"
Er versucht sich anfzurichteu. „Die Meta? Die Schanddirne? Det Mensch? Na
warte man, ick werde ihr —"
Meta steht vor ihm. Wie er die feine Dame sieht, will er aufstehen, versucht seine
nackte Brust zu verbergen. Aber er kommt nicht aus die Füße.
„So, Sie sin die Meta? Ick wollte sagen. Du bist die Meta? Ne, Muttern, wer
hätte det och jedacht! So 'ne feine Dame! Nu mußte aber viel Jeld hab'», wat?"
Wenn er spricht, entströmt ein Welle von Fuselgeruch seinem Munde. Am Boden
liegt eine Schnapsflasche.
„Ja, Vater, Mutter" ruft Meta entsetzt, „wie ist denn alt' das möglich?
wohnen
habe Euch doch immer so
leben können!"
„Det is nu man
ja woll nich so jekommeu.
warst, hat 'r anjefangen.
Freunde jefunden, un —
„Aber du, Mutter, du?"
„Ick, Meta, ick? Ick triuke mau nie nischt! Nie!"
Und dabei taumelt fie.
„Wat?" schreit der Vater. „Du trinkst nischt? Du Quaseltute! Und dabei säuft
se, wie'n Birscht'nbinderweib —
Aber nu sag mir bloß, Mädel, wo Liste denn so lange jesteckt? Nu verkehrste woll
bloß mit de feinen Herr'n, wat? Mit die Lumpen! S' klebt Blut und Schweiß uf dem
Jelde, wat se dir jeden, Meta. Unser Schweiß! Aber sag man" — und er beugt sich
vor und flüstert ihr ins Ohr — „Haste nischt mehr? Kannste mir nischt jeden? Wenn
de wüßtest. Meta, wie ick mir jesehnt habe nach Dir! Nu finds fünf Jahre!"
Es ist kalt, eiskalt in der Stube. Meta schaudert. Der Dampf und der schreck-
liche Geruch schnürt ihr die Kehle zusammen. Und das ist Vater und Mutter —-
„Du wunderst dir wohl. Meta?" frägt die Mutter. „Aber nu sag' man selbst, wat
Nu da trinkt man denn
Leben nischt mehr. Un
Vater und schüttelt ihn: „Vater!" Jetzt regt er sich —
„Lebt wohl" — doch
nichts. Jetzt haben sie das Portemonuai entzwei gerissen; der Inhalt
umher. Und gierig, wie hungernde Wölfe um Beute, balgen sie sich am Boden um die
Geldstücke — — — Metas Röcke schleifen rauschend die Treppe hinab.
Sie friert, daß ihre Zähue aufeinander schlagen.
Und dann stapft sie durch den tiefen Schnee zurück — zurück — — — —
R. Hermann.
Heyman«, Amalienstraße 18/11. Für die Redaktion verantwortlich: Valentin Karl, beide in München. — Druck und Verlag „Frührot" München.
«US E^SSSvLU^vU?
(Auflösung folgt, wenn die Bajonette nicht mehr so spitzig sind).
Lin IkiliU i irit^Sl.