Vor zwanzig Jahren hatten Anna Edel und Richard
Singer sich heiraten wollens Aber es kam nicht dazu.
Jetzt waren Anna und Richard nach zwanzigjähriger
Trennung wieder zusammen gekommen. Inzwischen hatte die
Welt ihr Aussehen verändert, Kriege waren zwischen den
Völkern,entbrannt und ungezählte Millionen Menschen waren
gestorben und auch geboren worden. Auch Anna und Richard
hatten sich in dieser langen Zeit geändert. Die Zeichen des
nahenden Alters waren in beiden Gesichtern; an Annas
Augen zeigten sich die unhöflichen Krähenfüße und die Augen
flackerten nicht mehr so sinnlich und lustig, wie früher. Ihr
Teint war bräunlich geworden. Und bei Richard sanden sich graue
Härchen im Bart, und sein Gesicht war noch viel brauner als das
Annas; die hübsch gewölbte Stirne verunzierte Falten. Seine
Augen blickten nüchtern prüfend, es waren die Augen eines
Geschäftsmannes.
S o verändert waren die Beiden. In gewisse» Augen-
blicken dachten sie an ihre Jugend zurück, wo sie sich über-
mütig im Leben getummelt hatten. Die Erinnerung ver-
ursachte Schmerzen.
Jetzt wollten Anna und Richard sich wieder heiraken, so
wie vor zwanzig Jahren. Damals ging's nicht, aber vielleicht
giiigs jetzt, da sie jetzt doch ganz andere Menschen waren.
Sogar andere Namen führten sie jetzt. Sie hieß Frau
Berger, da sie inzwischen mit einem Baumeister, Namens
Berger, verheiratet gewesen, der nun schon drei Jahre unter
der Erde lag, und er hieß Mister Black, da er inzwischen
nach New-Jork übergesiedelt war und unter diesem Namen
eine Stahlwarensabrik gegründet hätte.
Fran Berger und Mister Black entsannen sich dessen,
daß Fräulein Edel und Herr Singer darum auf dem Wege
zum Traualtar umgekehrt waren, weil ihr Liebesbänmchen
noch nicht tief Wurzel geschlagen hatte. Das Bäumchen war
wegen seiner Kraftlosigkeit verdorrt.
An diesem Mangel konnten und durften jetzt Frau Berger
uud Mister Black nicht leiden. Was hatten sie den mit Fräulein
Edel und Herrn Singer gemeinsam? Sie waren doch ganz
andere Menschen.
„Geliebte Frau, Du hast mich doch gern? Sehr gern?"
„Aber natürlich, Richard. Uud Du — ?"
„Ich verehre Dich.''
In Berlin, in einer vornehmen Straße, in einer ge-
schmackvoll bürgerlichen Wohnung, fielen diese Worte. Es
war Frau Bergers Wohnung, denn sie lebte beständig in
Berlin, während er ans New-Jork znm Besuch herüber ge-
kommen war.
Eben sprachen die beiden von ihren Zukunftsplänen.
Frau Berger sollte mit ihm über das große Wasser ziehen
und in der nenen Welt öine neue Heimat finden.
Des Teufel hol's, was war das? Mister Black hatte
— gegähut, mitten in dem süßen Liebesgeplauder.
Fran Berger hatte diese Unart von ihrem Anbeter fast
mit Entsetzen bemerkt, lind doch hatte Mister Black des
Nachts Prächtig geschlafen, Ivie er selbst gesagt.
Nach einer Weile fiel Fran Berger plötzlich etwas ein.
Sie besaß keine Geduld mehr, mit ihrem Galan zu
plaudern, sie stand an' und trat vor den Spiegel. Sie hatte
sich die neueste Frisur — die Frisur der Königin von Eng-
land — anzeigen lassen und wollte sie nun partout an ihrem
Haar anbringen.
Mister Black war über dieses Thun so erstaunt, wie'
Fran Berger vorher über sein Gähnen. Er dachte darüber
nach, wie denn nur Fran Berger mitten im Naschen nnd dem
süßen Gespräch auf die dumme Frisur kommen konnte. In
einem Augenblick steigt man doch nicht vom Himmel auf
die Erde herab.
Von der heißen Soinuiersoune wurde es immer uner-
träglicher im Zimmer. Mister Black sagte, er könne es vor
Hitze nicht mehr anshalten nnd empfahl sich.
Als er schon in der Thür stand, rief Frau Berger
ihn zurück.
„Komm, komm, Richard ! Ich habe Dir noch ein Wort
zu sagen."
Richard kehrte zurück.
Die Fran schien verlegen, ihre Wangen röteien sich.
Sie legte ihren Arm nm seine Taille.
,,Richard", hauchte sie, „mir scheint, wir haben nns doch
nicht so lieb, Ivie es sein sollte. Du kannst znm Beispiel
gähnen, wenn Du bei mir bist. Wir sind nicht besser, als
Fräulein Edel und Herr Singer damals waren. Auch Frau
Berger nnd Mister Black könnten aus dem Wege znm Trau-
altar umkehren, denke ich."
Diese Erörterung kam Mister Black unerwartet, er fühlte
sich durch dieselbe getroffen. „Nun, den Vorwurf kann ich
Dir zurückgeben. Man geht nicht vor dem Spiegel Frisur
zu machen, wenn man nur für seinen Liebhaber Interesse
hat. Aber was können wir dabei thun?"
„Wir müssen unsere Seelen wecken. Sie schlafen noch,
die Seelen."
„Wie meinst Du das ? Was ist in diesem Fall die Seele?"
„Rausch. Oder ein anhaltender Stimulus znm Rausch.
Auch ein Feuer ist sie, eine Flamme, die zehrt, immer zehrt,
aber nicht verzehrt."
„So. Und das soll uns mit einer solchen Macht er-
greifen, daß wir nicht anders können, als glühend nach
einander verlangen? Und dann würden wir ans unserem
Wege nicht mehr umkehren?"
„Ganz richtig."
„Aber ans welche Weise sollen wir die Seele Wecken?"
„Mein Gott, indem wir nns einander hingeben und der
Leidenschaft freien Lauf lassen."
„So, ich verstehe."
„Heute lassen wir die Seele noch schlafen. Aber morgen —
Komme morgen um dieselbe Stunde wieder zu mir. Dann
machen wir aus dem Wind einen Sturm und der sacht die
Wärme zur Feuersbrunst an. Vergiß nicht, das m u ß ge-
schehe^ oder wir sind für einander auf immer verloren."
Mister Black drückte einen Kuß aus die Lippe» der ge-
liebten Fran und wandte sich znm Gehen. Er kehrte aber
wieder nm.
„Sag' mal, Anna, warum muß das morgen sein?
Könnten wir nicht, schon heute unsere Seelen wecken?"
Fran Berger lächelte.
„Siehst Du, siehst Du, schon regt sich's bei Dir. Die
Seele hört schon, wenn man ihren Namen ansruft. Aber
es sei, wie ich gesagt. Denn Du mußt wissen, so ganz
plötzlich darf man die Seele auch nicht aufscheuchen. Sie
ist ein zartes Ding und würde Schaden nehmen. Wer weckt
auch ein Kindlein mit einem jähen Ruck aus dem Schlafe?
Und plötzlich bricht auch die Sonne nicht hervor."
„Ach so!"
„Der Rest des heutigen Tages und die Nacht mit ihren
Träumen müsseiu,zur Vorbereitung. der großen, weihevollen
Stunde gehören." . .
„Na, es sei jo. Ich lveiß,. auch-in der Stahlwaren-
sabrik muß. mau Vorbereitungen treffen. Aber was seh ich,
bist Du im Fieber? Wie rot Dein Gesicht ist! Fast brennend!
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Dort zu! lolr bad' oin stoik Doniok,
Oss lässt niobt loiebt vom Dsbon!
2iobt kost mir um die Kaust don 8triok,
Dann kann dor Vrm niobt bobon!
Mn lasst mioli beton: „Verwoben soi
Klein 8ünäon naolr obristlioliom Lrauolio
lob bad' ja Zomorckot! Didoldumdoi,
KVio sass ilrm clas Nosssr im Lauolio!
Naobt's Kur?: unck gut! Ilorr Vater uuck (Kott,
Vorzoibo Deinem Kinde!
Du solionkst ckom Keioben soin tagt lob Ilrot,
Dom Hunde lässt or äio Kinds.
Dom Vrmon giobt or niokt mal das,
Dor bat ja wobt ckon Himmel.
Doob selbst dem Vrmsten taugt zum Krass
Riebt leister Kkatken Dobimmol!
Duck kouobt dio blutter in 8elnirkonkrolin,
Dio Kleinen v> ronden, krepieren,
Djo 8obwskter verwirkt sieb um Dundeioini,
lind soll sieb der Ikruder da zieren?
Herr Oott im Himmel! Du bist ja gut,
Du maobtost äio Nensoben zu Okristen.
8is sauken betenä des Trinen klut
Duck beugen ibn ibron Düston.
8io spiosson <lcm Vrmen auk's Lajonett,
Dieweil sio Dir KVeibrauob streuen — —
Hurtig, Denker, sobnallt mieli auk's ilretl,
lob musst' in die Kratze euoli speien!
(Kott Vater, iob bin oin Lösewiebt,
Hab' äiokos Llut gesotten,
Die KVelt ist ärmer um einen KViebt,
Dieweil mb ibn gut getrosten.
Dor Klagen leer und beiss das Dirn,
Der Körper matt zum 8terben,
Dio 8eiiw68ter oino 8trassendirn,
Dio Kinder uns'ro Kirben — —
Verstuebt und Dimmslsakrament —
Da zuokto die Kaust am klessor.
lind wenn das (likt im Deibo bronnt,
Dann ziolt das Lugo besser.
Naebt solmell! Kabr wnbl, o (lbristentum,
lob büsso mein Vorbreolion.
Dooli drobt ibr mir auob den Kragen um
Dio Kirben worden miob räobon!
Kennt ibr den Ilass? — llabrtausend alt
Dio KVut der verlorenen Klasse?
(lebt avbt, gobt aobt! Verweitlung zablt
Nit unerbittliobom blasse!
Kalirt wolil, ibr Dorren! lob basse ouob,
boli bass' ouob mobr als mein Doben!
Dasst los das Keil — Dallob — ein 8troiob —
klein 8ünden — sei — mir — vergeben -
Daba — baba — verdammte Lrut —
Riebt besser-vorstebt — ibr — das —
Norden?
Die Nutter — die Dirne — das — — beisse
ltlut-
8o bin iob — ein Nörder — —
geworden — —
ködert klexmann.
„Schweig, Richard, schweig! Geh rasch hinaus! Du darfst
kein frevles Spiel treiben mit solchen Worten.
Adieu, mein Lieber."
Mister Black ging.
-st -st .
Am anderen Tage empfing Fran Berger im Matineekleide
ihren Anbeter. Das Zimmer war wieder heiß von dein warmen
Tage. Unter den Blumentöpfen auf den Fenstern webte eine Stimmung
wie kurz vor einem Gewitter. Die Möbel schienen so ernst, ge-
rade so, als könnten sie denken und ahnten etwas.
Mister Black und Frau Berger waren nicht imstande, ein-
ander in die Angen zu schauen.
Es verging eine unruhige Viertelstunde. Dann schmiegte Mister
Black sich fest an seine Braut und küßte sie heiß, leidenschaftlich.
Indessen noch hatte keines den Mut gefunden, dem Andern ins
Ange zu schauen.
Aber es war Zeit für die Seele. — Hollah, erwache!
Die Seele wurde geweckt. - —
Seit einem Monat weilt Mister Black wieder in New-Jork
und Frau Berger in Berlin, so wie früher. Aus ihrer Heirat
ist nichts geworden, so wie früher.
Die Seele hatte ihnen nichts geholfen, denn wenn man sie
weckt und ruft, so kommt sie eben nicht von selbst und übt nicht
ihre eigentliche Wirkung. Im Gegenteil, wegen dec Seele war
die Sacke noch viel schlechter geworden, denn Mister Black hatte
noch andere Frauen gefunden, welche Seelen weckten und da konnte
er zuguterletzt keiner den Vorzug geben. Wie man hört, hat seine
Braut die Bekanntschaft eines Husarenlieutenants gemacht.
Ich muß noch bemerken: Mister Black nnd Frau Berger sind
seit dem Seelenexperiment wieder einmal ganz andere Menschen
geworden, so wie sie sich srüher in zwanzig Jahren verändert hatten.
Ado Karrotom.
Der Affenspiegel: Redigieit und herausgegeben von Robert Heyman», Amalienitraße I8/D. Für die Redaktion verantwortlich: Valentin Karl, beide in München. — Druck und Verlag „Frührot" München.