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Der Affenspiegel: satyrisch-politische Wochenschrift — 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.48645#0002
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Kat in ikrer Aöttllcken Oinlalt 6sn IlerausAsber 6es
„Tiroler Wastl", Herrn ^enn^, für 6en im ^tlenspieZel
erscllieuenen Artikel über 6ie ÖienstmaAcl OuiZia Veronesi:
„On6 6ns nennt man OerecktlAkeit" verantwortlicll ^e-
rnackt un6 ibn ckeskalb — rnan böre un6 staune — unter
^VnkIaZe gestellt. leb erkläre biemit, 6ass 6er betr.
Artikel nicbt von Herrn ^enn^ inspiriert war, 6a 6ie
IIeI6entkaten 6er k. k. Lsricbtsböfe ru Österreicb überall

so von sieb re6en macken, 6ass man sebr schnell vom -'
allen mo^licken Leiten 6avon erläkrt. Die superklnZ'en
Herren am OanckesZerickt in Innsbruck un6 vor .Xllein
6er Herr Ltaatsanwalt mit 6em unmöZlicb ausrusprecken-
6en Xamen mÖASn becksnken, 6ass 6er „^ÜenspieAel"
äusser 6em Herrn Jenn^ nock mekr Treuncks besitzt, 6ie
ibn „inspirieren". leb bin Aerne bereit, über 6en Oall
näkere Auskunft ru §eben un6 teile 6en Ickerren mit,

6ass ieb meine Quellen 6irekt im Jesuitenkloster ru Inns-
bruck kabe, wo sieb clie meisten meiner österreicbiscben
Treun6s auskalten. leb kabe 6en Kall Veronesi nockmals
aufASArillsn un6 auck 6ie lamose lleriebtiAunZ mit Lommen-
tar gekrackt, un6 verweise meine Oeser auf 6as keute
ersebienene lieft XXVII cles „Trukrot^, auf welckes ieb
Luck 6ie k. k. Ltaatsanwaltsekast Innsbruck Zanx erZebenst
aufmerksam macke. Oer Herausgeber.

Seit acht Uhr abends bummelte Wiedemayer schon die
Friedrichstraße hin und her, aber noch hatte er nicht gefunden,
was er suchte. Und jetzt war es schon beinahe zehn! Dabei
hatte er seine Ansprüche gar nicht einmal hoch gestellt. Er
wollte ja nur Studien zn seinem großen socialen Werk:
„Die Stellung des Weibes außerhalb der Gesellschaft" machen,
und da war es ihm nun gleich, ob er seine wissenschaftlichen
Untersuchungen bei einer hübschen oder einer weniger von
der Natur begünstigten Evatochter anstellte. Aber als stiller
Gelehrter war er schüchtern und nicht sehr gewandt. Er
wagte nicht, eine anzusprechen, so sehr sie ihn auch durch
Blicke, lächelnde Mienen und leis geflüsterte Einladungen
ermunterten. Sie sahen ihm doch lalle zu entschieden, zn
sehr „aufs Ganze gehend" aus. Endlich entdeckte er eine,
die ihm anheimelnder vorkam, die in ihrer ganzen Erscheinung
etwas Sanftes, fast Frauenhaftes hatte. Er folgte ihr wie
ein Radfahrer seinem Schrittmacher, und sic schwenkte mit
ihm in die Mohrenstraße ein. Hier faßte ec sich endlich
ein Herz.
„Entschuldigen Sie," sagte er, „ich irre mich doch nicht?"
„Irren? Wieso?"
„Nnn ich meine," stotterte er, schon wieder ganz ver-
legen, „ob Sie vielleicht — ob Sie etwa —"
„Ja was wollen Sie denn eigentlich von mir? Denkeu
Sie, ich habe meine Zeit gestohlen?"
„Nein, nein! Also gut: Dars ich Sie vielleicht zum
Abendessen einladen?"
„Das hat doch keinen Zweck, Dickchen, das bringt
mir nichts ein. Wollen wir nicht in meine Wohnung gehen?"
„Sehr gern. Da können wir uns doch ungestört
unterhalten?"
„Natürlich, sehr gut!" lachte sie und hängte sich ver-
traulich an seinen rechten Arm.
„Das ist ja recht günstig," erklärte er pedantisch.
„Ich möchte nämlich —"
„Na, was Dn möchtest, das kannst Du ja nachher
sagen. Deine Wünsche werden schon zu erfüllen sein.
Komm nur!"
Wiedemayer, der sonst nur an seinem Schreibtisch zu
sitzen pflegte und dem diese „halbe" Welt ein Buch mit sieben
Siegeln war, stellte stillschweigend die interessante psychologische
Thatsache fest, daß diese Mädchen sich noch die Naivetät der
von der Kultur wenig beleckten Naturmenschen bewahrt haben
und selbst Unbekannte zu duzen Pflegen. Nach einer Wanderung
von zehn Minnten hatte sie ihn in eine Nebenstraße gelootst,
und sie landeten vor einer Hausthüre, die sie schnell öffnete
und, als sie beide auf dem Flur waren, wieder schloß. Dann
faßte sie in bei der Hand und zog ihn langsam vorwärts,
indem sie flüsterte:
„Komm nur ruhig hinter mir her!"
Wiedemayer erlebte jetzt seine erste große und für
sein Werk wichtige Ueberraschung. Nach ihrer äußeren Er-
scheinung hatte er gemeint, sie müßte in der ersten Etage
wohnen; aber sie wohnte in gar keiner Etage, sondern auf
dem Hof im Keller. Als er zögerte, beschwichtigte sie schnell
seine Bedenken:
„Die feinsten Herrn sind hier schon mitgekommen!
Neulich war sogar ein Officier in Uniform da!"
Nun, dachte er bei sich, um so wertvollere Aufschlüsse
werde ich erhalten, und stieg in den Orkus hinab. Sie hatte
ein Wachsstreichholz angezündet und führte ihn einen Gang
entlang an mehreren Thüren vorbei, bis sie an einer Halt
machte. Ehe sie öffnete, zeigte sie ihm die Visitenkarte an
derselben: „Wenn Du mich mal wieder besuchen willst. Hier
steht mein Name." Und er las:
Marie Dangel, Stickerin-
Das Zimmer interessierte ihn sofort; aber sie fand es
langweilig, daß er sich so eifrig umschaute, legte schnell ihren
Hut und ihren Umhang ab und sagte: „Nun mach Dir's
bequem! Was stehst Du denn da wie ein Oelgötze?"
„Sehr richtig!" bemerkte er lächelnd. „Wir können
uns zur Unterhaltung setzen."

Von Max Hoffmann.


Er hängte Ueberzieher und Hut an den Thürhaken,
stellte seinen Stock in eine Ecke, ließ sich aufs Sopha neben
ihr nieder und begann gemütlich:
„Und nun möchte ich gern Aufschluß haben —" ,
„Na, Dickerchen, bist Du aber komisch! Ich soll Dir
wohl sagen, was Du mir schenken sollst? Recht viel natürlich!"
„Nein, das meine ich eigentlich nicht. Aber wenn es
sich um ein Geschenk handelt, so werde ich Ihnen selbstverständlich
Ihre Zeit vergüten."
„Und auch meine Arbeit," ergänzte sie.
Er sah sie fragend an. Dann aber besann er sich,
griff in die Tasche und reichte ihr ganz verschämt und ver-
stohlen ein Zehnmarkstück.
Sie ergriff es hastig, beschaute es aufmerksau und spuckte
mehrere Male darauf. „Handgeld!" sagte sie ernst nud ließ
das Geldstück in ihrem Portemonnaie
verschwinden. Dann aber wurde sic
zärtlich. Sie schmiegte sich an ihn und
wollt den Arm um seinen Hals legen.
Doch er wehrte sie ab.
„Nein," erklärte er entrüstet,
„dazu haben wir jetzt keine Zeit."
„Nun, was soll denn das? Was
ist denn das für ein Benehmen? Wozu
hast Du mir dann was geschenkt,
Dickerchen?" „Ich sagte es ja, ich
will Ihnen die Zeit bezahlen und
wünsche von Ihnen Ausschlüsse über
Ihre Lebensweise zu erhalten. Sonst
nichts."
„Sonst nichts? Na, das wäre
ja noch schöner! Also ich soll das
Geld eigentlich für nichts und wieder
nichts nehmen? Bin ich denn ein
Bettelweib? Sehe ich aus wie so
eins? Nein, so was giebt's nicht! Lohn
und Arbeit gehören zusammen!" „Ja,
aber ist denn Ihr — wie soll ich
sagen — Gewerbe eine Arbeit?"
„Ob's eine Arbeit ist? Na ob!
Eine feine und grobe zugleich. Und
anstrengend! Ich sage Dir, das greift
mehr an, als den ganzen Tag Maschine
nähen. Man hat es manchmal beinah
satt und möchte sich nach etwas Leich-
terem nmsehen."
„So, so! Das ist mir ja sehr
interessant."
„Ach was! Man spricht aber
nicht davon."
Sie wurde wieder zärtlich, doch
er erhob sich und erklärte, daß er
nun gehen wolle.
„Was?" rief sie ganz empört
ans, „jetzt schon gehen? Und wozu
bist Du denn eigentlich mitgekommen?"
„Studien halber!" erwiderte er
lächelnd.
„Ach, solche dummen Fisema-
tenten! Also zum letzten Male: Willst
Du hierbleibeu oder nicht?"
„Nein!"
„So! Also Du denkst wohl,
ich bin Almosenempfäugeriu und werde
Geld umsonst nehmen? Das ist eine
Beleidigung! So was ist mir noch
nicht vorgekommen! Ich bin gewohnt,
ehrliche Arbeit zu leisten, und wenn Du
das nicht willst, so verletze mich wenig-
stens nicht durch Deinen Bettelpfennig,
den Dn mir umsonst geben willst!"
Sie holte eilig das Zehnmarkstück

hervor, steckte es ihm in die Tasche und öffnete ihre Thür.
In demselben Augenblick that sich eine Nebeuthür auf, und
eine dicke Person im tiefsten Negligee erschien in derselben.
„Nanu, Dickerchen," fragte sie erstaunt, „warum willst'n
nick; bei meine Freundin bleiben? Dat is doch'n janz feinet
Mädchen! — Hast'n Fehlschlag ?" wandte sie sich an ihre Kollegin.
„Nein," erklärte diese wütend, „aber er will mir Geld
geben und bloß mit mir plaudern."
„So 'ne Jemeinheit!" rief die Dicke voll Entrüstung.
„Der hält uns woll für Nassauer? Da irrt er sich jewaltig!
Nee, Mieze, laß Dir Dat nich jefallen! Dazu sind wir
doch zu austäudig. Laß'u mau wieder raus!" . . .
Als Wiedemayer wieder auf der Stahe stand, dämmerte
in ihm ein Kapitel seines Werkes aus. Er wollte es über-
schreiben: E.hrliche Arbeit.

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