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Der Affenspiegel: satyrisch-politische Wochenschrift — 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.48645#0034
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Von Robert Hey mann.


Er zog die staubige Landstraße entlang, die
nach dem Dorfe führte, in dem er vor etlichen
Jahren seine Jugendliebe verlassen hatte.
Die Wiesen lagen in saftigem Grün und
weiße Molken schaukelten am Himmel wie junge
Kastanienblüten. Zu beiden Seiten der Straße
wogten Kornfelder von rotblonder Schönheit wie
reifes Frauenhaar; denn cs war Spätsommer
Er war ein junger Mann noch, und doch
schon vor der Zeit gealtert. Er hatte die Liebe
in den Städten gesucht; die Frauen der Paläste
aber sind schlank und schön, ihre Augen abgrund-
tief und ihre Lippen bergen Weisheit.
Nie aber Wahrheit.
Und ihre Liebe dorrt in schwülen Sälen, wo
die Lüge wohnt und die feile, satte Sünde.
Und um dieser willen hatte er Magdalena
verlassen, die sich an ihn geklammert in Todesangst
und seinetwillen hätte sterben mögen.
Wie er sie finden würde? Gb er sie noch
finden würde? vielleicht lag sie irgendwo ver-
scharrt, vergessen, gestorben ohne Liebe und Schön-
heit . . .
Drüben beim Flusse blitzten die mähenden
Sensen in der Sonne und die weißen Hemden-der
kräftigen Schnitter leuchteten zu ihm herüber.

Langsam ging er die Felder hindurch auf
eine abseits von den andern stehende Frau zu,
die baarfuß in den wiesen stand, die Röcke über
den kräftigen Waden geschürzt, ein weißes Tuch
auf dem Kopse, das ihr üppiges Haar nicht ver-
decken konnte.
Taktmäßig fnhr ihre Sense hin und her --
Sie schaute aus, als sie ihn kommen hörte.
Eine Sekunde kreuzten sich ihre Blicke. Er sah,
wie das Blut in ihre von der Sonne gebräunten
Wangen stieg — — das war Magdalena!
Er mochte wohl etwas laut gedacht haben,
denn sie fragte mit rauher, unschöner Stimme:
„woher kennen Sie mich, Herr?
„woher?!" Er biß die Zähne auf die
Lippen.
„woher? Und weißt Du denn nicht, daß
ich Dich nimmer vergessen konnte, daß ich immer
an jene Stunde denken mußte, daß uichts meiner
Sehnsucht Stand gehalten hat als Dein Bild?"
Sie ließ die Sense ruhen und sah auf; ihr
Blick war ruhig und heiter wie der Sommertag,
als sie ihu prüfend ansah. Dann schüttelte sie
das Haar zurück, daß es schwer in den Nacken
rollte, und lachte, daß ihre Brüste zitterten und
die Schnitter in der Nähe verwundert umsahen.

„Ja, damals", sagte sie, noch immer lachend,
— „wir waren ja so jung — und so dumm!"
Dann mähte sie weiter.
Und das ist alles, Magdalena? Sonst hast
Du mir nichts zu sagen?" —
Da trat ein Mann an den Jüngling heran,
dessen Kommen er überhört hatte. Es war ein
kräftiger breitschultriger Bauer, dessen schneeweißes
Hemd geöffnet war und die behaarte Brust sehen
ließ Seine nackten Füße steckten in schweren
Holzpantoffeln, und seine Rechte hielt eine blitzende
Sense.
Magdalena richtete sich auf, und der Jüng-
ling sah, daß ihr Körper noch schöner und vollen-
deter geworden war als er damals war — —
„Der Herr will den weg zum Thal wissen",
sagte sie lächelnd zu dem Bauern, ohne den
Andern anzusehen
Der Mann nahm demütig den breiten Stroh-
hut ab und wies ihu die Straße — zurück. —
Die Sonne stand zu Mittag und tiefblau
war der Himmel.
Am Wege blieb der Fremdling stehen und
sah sich um. Sie standen beide nebeneinander,
ohne ein Wort zu wechseln, und ihre Sensen
flogen taktmäßig hin und her.
lind da weinte der Jüngling.
 
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