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doch allmählich auch das Gegenständliche nuancierend auf die reine Farbe und
Form ein und gewinnt im Gesamtgehalt des Werkes eine größere Bedeutung.
Historisch ist es nun natürlich nicht so zugegangen, daß die Kunst von
der absoluten Malerei allmählich zur gegenständlichen gelangte, sondern
vielmehr umgekehrt, wenn auch in der Entwicklung immer kleine Gegen-
ströme und Zurückwendungen vorkommen. Van Gogh hat in dem Wunsch,
den Ausdruck ins Unerhörte zu steigern, Cezanne im Bestreben, das innere
Gerippe, die latente Gesetzlichkeit der Erscheinungswelt bloßzulegen, Gau-
guin im Verlangen, die einfache reine Grundlinie der allgemeinsten Mensch-
lichkeit und des schlichten Urseins der Dinge zu erfassen, immer mehr von
der gewohnten Erscheinungsform der Gegenstände aufgegeben, immer mehr
nur das herausgehoben, was ihren Zielen diente, und so wuchsen in ihren
Werken die reine Linie, die reine Farbe, die reine Fläche, die reine Glie-
derung immer mehr an Bedeutung, das Gegenständliche wurde immer all-
gemeiner und nebensächlicher. Für uns ist hier aber entscheidend, daß bei
all dieser Gewichtsverschiebung immer ein organisiertes, durch und durch
lebenserfülltes Gebilde vorhanden ist, das nach allen Richtungen und ohne
tote Stellen überall Kräfte durchspannen, so daß nirgends unerfüllte Inten-
tionen wie Schlacken zwischen dem Lebendigen des Werkes liegen.
Man wird zunächst sagen, daß nach dem Erfüllungsverhältnis, das nur
solche Vorstellungen und Auffassungen zuläßt, die im Material des Kunst-
werkes ihre genaueste Erfüllung finden, Inhalt und Form in ganz denselben
Gegebenheiten enthalten sind. Die Farben, Flächen, Linien des Bildes sind
einmal die Formen, wenn sie für sich genommen werden, das andere Mal,
wenn sie eine Vorstellung oder einen Gedanken erfüllen, bilden sie den
Inhalt. Der Unterschied ist demnach ein sehr geringer, und es scheint, als
ob sich auch dieser Rest von Gegensätzlichkeit noch auf lösen ließe. Denn
fragen wir uns, was der Gesamtinhalt eines Bildes ist, etwa der Isenheimer
Kreuzigung des Grünewald, so ist die Antwort keinesfalls damit gegeben,
daß hier die Kreuzigung dargestellt ist. Es gehört ohne Zweifel zum In-
haltlichen, daß wir erfahren, welche Phase der Kreuzigung gegeben ist,
welche Personen anwesend sind, wie sie sich verhalten, in welcher Land-
schaft das Ganze stattfindet usw. Damit geraten wir in ein Gebiet, wo die
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