Als ein Beispiel diene uns ein Bild des Malers van Gogh. Die Farbe ist
in fortwährend neu ansetzenden, gewaltsam sich windenden Bogenlinien
aufgetragen, die etwas Flackerndes, Heftiges, unendlich Nachdrückliches
haben. Diese Stimmung nun teilt sich den dargestellten Gegenständen gleich-
mäßig mit. Sie alle werden von ihr umfangen. Der Gesamtgegenstand des
Bildes wird durch dieses Darstellungsmittel in einer bestimmten, aber gegen-
ständlich kaum faßbaren Weise nuanciert. Es ist eine nur versuchsweise
Darstellung, wenn wir sagen, die Straße flackert, der Himmel siedet, die
Häuser erzittern. Genau gesprochen aber müßten wir sagen: wir werden in
eine solche Heftigkeit der Anschauung hineingerissen, unsere Augen erbeben,
und wir begreifen auf einmal die maßlose innere Geladenheit aller Dinge,
die zum Bersten mit Impulsen erfüllte Existenz aller sichtbaren Gegenstände.
Freilich auch das ist gegenständlich. Aber doch in einer ganz besonderen
Weise. Es sind hier nicht flammende Bäume zu sehen, sondern es wird
uns gezeigt, daß Bäume, die wir kennen, die an allen Straßen stehen, daß
Häuserfronten, deren optischer Eindruck uns völlig geläufig ist, daß alle
uns umgebenden wohlvertrauten Dinge in sich eine maßlose geheime Span-
nung bergen, daß in ihnen ein furchtbarer Wille emportreibt in kreischen-
den Eruptionen. Es wird uns ein bestimmter Weltsinn aufgeschlossen, der
nicht nur von dem augenblicklich Dargestellten gilt. Diese Straße mit ihren
Bäumen ist nur ein zufälliger Einzelfall einer Grundtatsache der Welt im
ganzen. Das aus der Betrachtung resultierende Erlebnis ist also ganz all-
gemeiner Natur. Es ist nicht eine Bestimmung der geschauten Gegenstände,
die zufällig sind, sondern es ist eine Bestimmung des Schauens selbst.
Über die weitere ästhetische Bedeutung dessen soll an dieser Stelle nur
gesagt werden, daß dadurch der Inhalt des Kunstwerkes insofern eine be-
stimmte Erweiterung erfährt, als in ihm nicht nur die geschauten Gegen-
stände, sondern auch die Auffassung und damit auch die Persönlichkeit
des Künstlers irgendwie mitgegeben sind. Das unerhörte Temperament van
Goghs wird uns sichtbar, indem uns die Dinge so sichtbar werden, wie er
selbst sie gesehen hat.
Nun ist-das freilich eine in gewissem Sinne gefährliche Erweiterung des
Gehaltes eines Kunstwerks, denn immer und überall läßt sich behaupten,
n4
in fortwährend neu ansetzenden, gewaltsam sich windenden Bogenlinien
aufgetragen, die etwas Flackerndes, Heftiges, unendlich Nachdrückliches
haben. Diese Stimmung nun teilt sich den dargestellten Gegenständen gleich-
mäßig mit. Sie alle werden von ihr umfangen. Der Gesamtgegenstand des
Bildes wird durch dieses Darstellungsmittel in einer bestimmten, aber gegen-
ständlich kaum faßbaren Weise nuanciert. Es ist eine nur versuchsweise
Darstellung, wenn wir sagen, die Straße flackert, der Himmel siedet, die
Häuser erzittern. Genau gesprochen aber müßten wir sagen: wir werden in
eine solche Heftigkeit der Anschauung hineingerissen, unsere Augen erbeben,
und wir begreifen auf einmal die maßlose innere Geladenheit aller Dinge,
die zum Bersten mit Impulsen erfüllte Existenz aller sichtbaren Gegenstände.
Freilich auch das ist gegenständlich. Aber doch in einer ganz besonderen
Weise. Es sind hier nicht flammende Bäume zu sehen, sondern es wird
uns gezeigt, daß Bäume, die wir kennen, die an allen Straßen stehen, daß
Häuserfronten, deren optischer Eindruck uns völlig geläufig ist, daß alle
uns umgebenden wohlvertrauten Dinge in sich eine maßlose geheime Span-
nung bergen, daß in ihnen ein furchtbarer Wille emportreibt in kreischen-
den Eruptionen. Es wird uns ein bestimmter Weltsinn aufgeschlossen, der
nicht nur von dem augenblicklich Dargestellten gilt. Diese Straße mit ihren
Bäumen ist nur ein zufälliger Einzelfall einer Grundtatsache der Welt im
ganzen. Das aus der Betrachtung resultierende Erlebnis ist also ganz all-
gemeiner Natur. Es ist nicht eine Bestimmung der geschauten Gegenstände,
die zufällig sind, sondern es ist eine Bestimmung des Schauens selbst.
Über die weitere ästhetische Bedeutung dessen soll an dieser Stelle nur
gesagt werden, daß dadurch der Inhalt des Kunstwerkes insofern eine be-
stimmte Erweiterung erfährt, als in ihm nicht nur die geschauten Gegen-
stände, sondern auch die Auffassung und damit auch die Persönlichkeit
des Künstlers irgendwie mitgegeben sind. Das unerhörte Temperament van
Goghs wird uns sichtbar, indem uns die Dinge so sichtbar werden, wie er
selbst sie gesehen hat.
Nun ist-das freilich eine in gewissem Sinne gefährliche Erweiterung des
Gehaltes eines Kunstwerks, denn immer und überall läßt sich behaupten,
n4