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Allgemeine Kunsts-Chronik.
Das Blut
Roman von % % David, (Dres !en, Verlag von H. Minden.)
Es gibt Dichter, deren Gestalten leicht und farbig
wie Porzellanfiguren, voll Grazie und Schwung in der
Bewegung, bis ins Kleinste voll sprudelnder Lebendig-
keit geschaffen, und Dichter, deren Gestalten schwer
und wuchtig in jeder Miene, großzügig und feierlich in
jeder Linie, wie Statuen in Erz gegossen sind; Dichter,
denen die Lieder leichtathmig und hell, in Melo lien
schwelgend von den Lippen perlen, und Dichter, deren
Gesang sich düster und dumpf der innersten Seele ent-
ringt, im keuchenden Stampfen schwermüthiger, stöhnender
Rhythmen ; Dichter, deren Geistesfeuer klar und leuchtend
brennt und laut prasselnd ungezählte goldene Funken
und Lichtgarben sprüht, und Dichter, deren Geist einer
still glühenden Flamme gleicht, verzehrend, versengend,
umwallt und umwolkt von mystischen Dämpfen. Und
David ist der Meister der Erzstatuen mit den klassisch
starren Mantelfalten; er ist der Sänger der heiß.thmigen
Lieder, die wie ein Stöhnen klingen, das einer schwer-
gepressten Brust entkeucht ; der Dichter,, dessen Feuer
still lodert,, geheimnisvoll umschleieit und umdü-tert von
den Dämpfen eines betäubenden Weihrauchs.
Es geht eine Schwüle aus von seinen Werken, wie
von einer Wetterwolke, die sich vor die Sonne lagert
und jeden kühlenden Luf^hauch erdrückt, das Klirren
von Waffen meint man fernher zu vernehmen, das Auf-
stoß n d~r Partisanen auf Marmorfliesen oder das Mur-
meln der Mönche in den Klostergingen, und immer
wendet sich der Blick zurück in das Mittelalter, in die
versunkene Zeit der Renaissance, woher man den Ur-
sprung der Kunst David's ableiten zu müssen glaubt.
Und diese Ein drücke werden auch dann nicht gebannt,
wenn er Menschen und Handlungen aus der Gegenwart
schildert. Immer wurzelt er für uns im Historischen, weil
auch das gestern Geschehene zur Historie wird, wenn
David es erzählt. In dem biblischen Ton seiner Sprache,
die wuchtig hinrollt wie flüssiges Erz, unterdem
schweren Pulsschlag seiner Erzählung erstarrt das
Lebendige von ehegestern und gestern zur Bildsäule;
die kleinen Züge, deren Erinnerung die Jahre nicht zu
überdauern vermögen, ve. wischen sich, und es bleibt
nur die große Form. Die Wolke der eigenthümlich
weihrauchduftigen Stimmung David's senkt sich darauf
hernieder, und in die nebelumschleicrten Fernen, in das
Dämmer de: Geschichte wird das Heute entrückt. Aber
doch schreitet d s Leben voll und mächtig durch seine
Werke, und sch wer rinnt in den A lern seiner Menschen
dickes heißes Blut. Wir können nicht gleich mit ihnen
gehen, wir kommen ihnen nur langsam nahe; glühend
und keuchend schlägt uns ihr Athem entgegen, aber
wenn ihr Blut zu wällen beginn', dann reißen sie uns
unwiderstehlich mit sich fort. Und so geht auch von
dem neuen Werke, das vor mir liegt, ein Zwang aus,
mälig anhebend, und dann immer dringender. Eine enge
Geschichte ist es, und wer sie in kurzem nacherzählen wollte,
brauchte nur wenig Worte. Wie Rupert und Salome Lohwag
nebeneinander hinleben auf dem Brauhause im „Kuh-
land", stets miteinan ler hadernd ob ihrer kinderlosen
Ehe, wie d nn Fau Salome die kleine Gabi aufnimmt,
das uneheliche Kind ihrer Schwester, die aus der Art
geschlagen, gestorben, verdorben ist, um den „Balg" an
Kindesstatt zu erziehen, zu einer echten Wagner, nicht
wie die Mutter es gewesen, sondern wie Salome Wagner,
die Fiau des Brauers Lohwag es ist, und wie nun die
Kleine das nicht werden kann, weil man das „Blut"
ihrer Mutter ersticken zu müssen glaubt, und wie sie
gerade deshalb ihrer Mutter nachgeräth, und gleich ihr
stiibt und verdirbt. An die Vererbungstheorie hat David
wenig gedacht bei diesem Romane, und der Kritiker
mit dem festgefügten Programme, der sie darin ver-
muthet oder sie, auf sein Programm pochend, begehrt,
der täuscht sich und verlangt Unrechtes.
Das Programm passt so wenig auf das Leben und auf
seine ungezählten Einzelfälle wie auf den Dichter, dessen
Eigenart jeden Schablonenzwang splittert. So steht denn
auch nicht Gabi im Mittelpunkte der,Handlung, sondern
Frau Salome. Sie, in deren Adern das echte Blut ihrer
Familie rollt, ist es, die der Dichter mit der ganzen
Kraft seines Gestaltungsvermögens herauszuarbeiten
suchte, und da^s Gabi ebenfalls ihrer Mutter nachging
auf „dem Wege des Lasters", ist nicht eine Folge des
auf sie „vererbten Leichtsinnes" der unglücklichen Therese,
es ist nicht der „Mutter Blut", wie Frau Salome meint,
sie selbst, Frau Salome ist es, die das Kind zuerst von
den unschuldigen Freuden der offenherz g naiven Spiel-
lust zu den Heimlichkeiten der im hohlen Baumstamm
versteckten Puppe brachte, sie selbst ist es, die in ihrer
Angst, das Blut Theresens könnte in Gabi übermüthig
aufwallen, das heranwachsende Mädchen vereinsamt und
allein lässt mit ihren Gedanken, dass sie vers ohlen zu den
Mägden muss in die Spinnstube, statt am Nähtisch der
Zehmutter ihre neugierige Seele zu erleichtern. Und wie
Therese einst durch die hartherzige Redlichkeit und durch
die kurzsichtige Strenge ihrer E tern hinausgetrieben wui de
in Schande und Elend, so ist es dasselbe Blut in Frau
Salome, dieselbe Unerbittlichkeit, dieselbe unempfindliche
Starrheit der a'ten Wagners, welche Gabi verderben.
Wenn es auch dann heißt, und der alte Rupert es seiner
Frau höhnisch vorhält, dass das Komödiantenblut das
arme Kind verdorben, dass es nicht zu retten war, weil
es den „bösen Keim von klein auf" in sich getragen,
Frau Salome sieht es am Ende doch ein, dass ihre
Schwester hätte gerettet werden können, und auch Gabi
— die Pappen, die sie zu spät im hohlen Baumstamme
verborgen gefunden, haben es ihr gesagt.
So leibhaftig und lebendig wie Frau Salome, ihr
Mann Rupert und Gabi vor uns stehen, so plastisch ist
auch die kleinste Nebenfigur in dem Buch1 gestalte'. Es
liegt eine Fülle von Stimmungen in dieser Dichtung,
aber die Dichtung ist herbe, die Stimmungen beklem-
mend und niederdrückend. Die stechende Hitze eines
Hochsommertages ist über das Ganze gebreitet, und eine
volle, grelle Sonne liegt darüber; es ist nicht die Sonne,
die goldig durch das Laubwerk des Waldes schimmert
und die Cyclamen anhaucht, es ist die glühende Arbeits-
so. ne, die versengend über dem Marchfeld brütet und das
Korn reift. Heiterkeit und Freude erfüllen einen nicht,
wenn man „Das Blut" liest, aber wenn man das Buch
geschlossen, so fühlt man, dass Gerhard Hauptmann
Recht hatte, als er das Wort sprach: „Man kann noch
viel mehr haben an der Kunst, als seine Freude."
Felix Salten.
Allgemeine Kunsts-Chronik.
Das Blut
Roman von % % David, (Dres !en, Verlag von H. Minden.)
Es gibt Dichter, deren Gestalten leicht und farbig
wie Porzellanfiguren, voll Grazie und Schwung in der
Bewegung, bis ins Kleinste voll sprudelnder Lebendig-
keit geschaffen, und Dichter, deren Gestalten schwer
und wuchtig in jeder Miene, großzügig und feierlich in
jeder Linie, wie Statuen in Erz gegossen sind; Dichter,
denen die Lieder leichtathmig und hell, in Melo lien
schwelgend von den Lippen perlen, und Dichter, deren
Gesang sich düster und dumpf der innersten Seele ent-
ringt, im keuchenden Stampfen schwermüthiger, stöhnender
Rhythmen ; Dichter, deren Geistesfeuer klar und leuchtend
brennt und laut prasselnd ungezählte goldene Funken
und Lichtgarben sprüht, und Dichter, deren Geist einer
still glühenden Flamme gleicht, verzehrend, versengend,
umwallt und umwolkt von mystischen Dämpfen. Und
David ist der Meister der Erzstatuen mit den klassisch
starren Mantelfalten; er ist der Sänger der heiß.thmigen
Lieder, die wie ein Stöhnen klingen, das einer schwer-
gepressten Brust entkeucht ; der Dichter,, dessen Feuer
still lodert,, geheimnisvoll umschleieit und umdü-tert von
den Dämpfen eines betäubenden Weihrauchs.
Es geht eine Schwüle aus von seinen Werken, wie
von einer Wetterwolke, die sich vor die Sonne lagert
und jeden kühlenden Luf^hauch erdrückt, das Klirren
von Waffen meint man fernher zu vernehmen, das Auf-
stoß n d~r Partisanen auf Marmorfliesen oder das Mur-
meln der Mönche in den Klostergingen, und immer
wendet sich der Blick zurück in das Mittelalter, in die
versunkene Zeit der Renaissance, woher man den Ur-
sprung der Kunst David's ableiten zu müssen glaubt.
Und diese Ein drücke werden auch dann nicht gebannt,
wenn er Menschen und Handlungen aus der Gegenwart
schildert. Immer wurzelt er für uns im Historischen, weil
auch das gestern Geschehene zur Historie wird, wenn
David es erzählt. In dem biblischen Ton seiner Sprache,
die wuchtig hinrollt wie flüssiges Erz, unterdem
schweren Pulsschlag seiner Erzählung erstarrt das
Lebendige von ehegestern und gestern zur Bildsäule;
die kleinen Züge, deren Erinnerung die Jahre nicht zu
überdauern vermögen, ve. wischen sich, und es bleibt
nur die große Form. Die Wolke der eigenthümlich
weihrauchduftigen Stimmung David's senkt sich darauf
hernieder, und in die nebelumschleicrten Fernen, in das
Dämmer de: Geschichte wird das Heute entrückt. Aber
doch schreitet d s Leben voll und mächtig durch seine
Werke, und sch wer rinnt in den A lern seiner Menschen
dickes heißes Blut. Wir können nicht gleich mit ihnen
gehen, wir kommen ihnen nur langsam nahe; glühend
und keuchend schlägt uns ihr Athem entgegen, aber
wenn ihr Blut zu wällen beginn', dann reißen sie uns
unwiderstehlich mit sich fort. Und so geht auch von
dem neuen Werke, das vor mir liegt, ein Zwang aus,
mälig anhebend, und dann immer dringender. Eine enge
Geschichte ist es, und wer sie in kurzem nacherzählen wollte,
brauchte nur wenig Worte. Wie Rupert und Salome Lohwag
nebeneinander hinleben auf dem Brauhause im „Kuh-
land", stets miteinan ler hadernd ob ihrer kinderlosen
Ehe, wie d nn Fau Salome die kleine Gabi aufnimmt,
das uneheliche Kind ihrer Schwester, die aus der Art
geschlagen, gestorben, verdorben ist, um den „Balg" an
Kindesstatt zu erziehen, zu einer echten Wagner, nicht
wie die Mutter es gewesen, sondern wie Salome Wagner,
die Fiau des Brauers Lohwag es ist, und wie nun die
Kleine das nicht werden kann, weil man das „Blut"
ihrer Mutter ersticken zu müssen glaubt, und wie sie
gerade deshalb ihrer Mutter nachgeräth, und gleich ihr
stiibt und verdirbt. An die Vererbungstheorie hat David
wenig gedacht bei diesem Romane, und der Kritiker
mit dem festgefügten Programme, der sie darin ver-
muthet oder sie, auf sein Programm pochend, begehrt,
der täuscht sich und verlangt Unrechtes.
Das Programm passt so wenig auf das Leben und auf
seine ungezählten Einzelfälle wie auf den Dichter, dessen
Eigenart jeden Schablonenzwang splittert. So steht denn
auch nicht Gabi im Mittelpunkte der,Handlung, sondern
Frau Salome. Sie, in deren Adern das echte Blut ihrer
Familie rollt, ist es, die der Dichter mit der ganzen
Kraft seines Gestaltungsvermögens herauszuarbeiten
suchte, und da^s Gabi ebenfalls ihrer Mutter nachging
auf „dem Wege des Lasters", ist nicht eine Folge des
auf sie „vererbten Leichtsinnes" der unglücklichen Therese,
es ist nicht der „Mutter Blut", wie Frau Salome meint,
sie selbst, Frau Salome ist es, die das Kind zuerst von
den unschuldigen Freuden der offenherz g naiven Spiel-
lust zu den Heimlichkeiten der im hohlen Baumstamm
versteckten Puppe brachte, sie selbst ist es, die in ihrer
Angst, das Blut Theresens könnte in Gabi übermüthig
aufwallen, das heranwachsende Mädchen vereinsamt und
allein lässt mit ihren Gedanken, dass sie vers ohlen zu den
Mägden muss in die Spinnstube, statt am Nähtisch der
Zehmutter ihre neugierige Seele zu erleichtern. Und wie
Therese einst durch die hartherzige Redlichkeit und durch
die kurzsichtige Strenge ihrer E tern hinausgetrieben wui de
in Schande und Elend, so ist es dasselbe Blut in Frau
Salome, dieselbe Unerbittlichkeit, dieselbe unempfindliche
Starrheit der a'ten Wagners, welche Gabi verderben.
Wenn es auch dann heißt, und der alte Rupert es seiner
Frau höhnisch vorhält, dass das Komödiantenblut das
arme Kind verdorben, dass es nicht zu retten war, weil
es den „bösen Keim von klein auf" in sich getragen,
Frau Salome sieht es am Ende doch ein, dass ihre
Schwester hätte gerettet werden können, und auch Gabi
— die Pappen, die sie zu spät im hohlen Baumstamme
verborgen gefunden, haben es ihr gesagt.
So leibhaftig und lebendig wie Frau Salome, ihr
Mann Rupert und Gabi vor uns stehen, so plastisch ist
auch die kleinste Nebenfigur in dem Buch1 gestalte'. Es
liegt eine Fülle von Stimmungen in dieser Dichtung,
aber die Dichtung ist herbe, die Stimmungen beklem-
mend und niederdrückend. Die stechende Hitze eines
Hochsommertages ist über das Ganze gebreitet, und eine
volle, grelle Sonne liegt darüber; es ist nicht die Sonne,
die goldig durch das Laubwerk des Waldes schimmert
und die Cyclamen anhaucht, es ist die glühende Arbeits-
so. ne, die versengend über dem Marchfeld brütet und das
Korn reift. Heiterkeit und Freude erfüllen einen nicht,
wenn man „Das Blut" liest, aber wenn man das Buch
geschlossen, so fühlt man, dass Gerhard Hauptmann
Recht hatte, als er das Wort sprach: „Man kann noch
viel mehr haben an der Kunst, als seine Freude."
Felix Salten.