Supplemente
>73
zur
ALLGEMEINEN
LITERATUR-ZEITUNG
vom Jahre 1786.
Numero 23.
GOTT ES GELAHRTHEIT.
Leipzig, bey Crusius: Predigten von Chrißian
Friedrich Sintenis, Constst. Rath und Prediger
zu Zerbst. Zweifler Theil. 1785. 1 Alphab.
iss Bogen in gr. g. ( 1 Thlr, 8. Gr.)
Erlangen, bey Walther: Einige Predigten von
SI- Wilhelm Ludwig Steinbrenner. 1785» 15
Bogen in g.
| > -r feurige Geisl: des Hm. Sintenis, der im-
mer seinen eignen Gang geht und sich nicht
gern durch gewiße Regeln binden lässt > ist sei on
aus seinen übrigen Schristen bekannt. Und ob-
wohl hier nicht dieselbe Lebhastigkeit herrscht, wie
etwa in seinen Menfchensreuden, so ist sie jedoch , zu-
mal sür Predigten, noch gross genug. Auf der einen
Seite gewinnet freylich derVortrag des Vf. dadurch
in mehr als einer Absicht. Die Aufmerksamkeit
wird dadurch rege gemacht und durch immer neue
unerwartete Wendungen fesegehalten. Manche an
{ich trockene oder alltägliche Lehren bekommen
durch die vortheilhafte Einkleidung neuen Reiz
und neues Gewicht. Auch weiss er jeden Umstand
auss Belle zu seinem Zweck anzuwenden, ja alles,
was auch etwas entfernt liegt, in den Zirkel sei-
ner Betrachtung hineinzuziehn und dem Zuhörer
1b lebhaft darzustellen, als wenn es dicht vor sei-
nen Augen läge. Und da er vollends die Sprache
Pehr in seiner Gewalt hat, so muss man gestehn,
dass sich seine Predigten sehr gut lesen, und ver-
muthlich noch belser hören lassen. Aber auf der
andern Seite ist der Verf. nicht nur fast zu 'wort-
reich , sondern seine Lebhastigkeit verleitet ihn
auch zu manchen Digreliionen , und an manchen
Stellen zur wirklichen WeitUhweisigkeit. Daher
die Länge der Predigten , die das gewöhnliche
IVIaas gar sehr übersteigt. Denn in mehr als an-
derthalb Alphabeter sind nur zehnPredigten enthalten.
Auch rührt es wohl von dieser Lebhastigkeit her,
dass er sich zuweilen mancher allzu sinnlichen Vor-
siellungen bedient; dass er sich ferner im Vorträ-
ge nicht immer gleich bleibt. Bald ist die Sprache
A» L> ä786. Supplementband.
so populär, wie sie billig immer in Predigten feya
soll; bald steigt er wieder in die Höhe, fängt an
zu declamiren, gebraucht Figuren und Redensar-
ten, die dem Kanzelredner billig nicht erlaubt sind.
Der ungeübte Zuhörer und Leser ward daher man-
che Stellen nicht völlig verstehn, und der geübtere
wird aus der andern Seite auch manche Auswüchse
der Deklamation wegwünsehen. Dieser Mängel
unerachtet behalten doch diese Predigten noch al-
lemal viel Gutes übrig; und können wir sie gleich
nicht als Muster andern Predigern empfehlen, so
glauben wir doch, dass sie mehrern Lesern zur
wahren Erbauung brauchbar werden könneu.
Denn die Sachen sind gut gewählt , ihre Erklä-
rung ist richtig und die Anwendung vortreslich.
Der Verfaßet ist mit der Wahrheit und dem
menschlichen Herzen bekannt; er kennet auch die
gangbaren Vorurtheile, und verlieht dieKunst mei-
sterlich , diefelben in ihrem Ungrunde und nach
ihren schädlichen Folgen darzustellen, und belsere
Ueberzeugungen an ihre Stelle zu setzen. , Gleich
die erste Predigt über die Natur und den Nützen
des heil. Abendmahls beweiset dies, aber auch meh-
rere andere, deren Inhalt wir nicht anführen kön-
nen. Auch die beiden letzten Predigten von den
Pflichten gegen die Selbßmörder, und wider den
Aberglauben in der Religion zeichnen sich durch die
Wahl der Materie so wohl, als durch die Bearbei-
tung selbst vor andern aus.
Nicht so lebhaft ist Hr. Steinbrenner , aber
auch zuweilen zu rednerisch und wortreich; und
durchgehends nicht populär genug. Vortrag und
Aussührung sind so beschaffen, dass nur nachden-
kende und aufgeklärte Christen Nutzen davon ha-
ben können. Uebrigens sind die Materien wichtig,
z. E. Klugheitsregeln für diejenigen, welche in die
Nothwendigkeit rerfetzt werden , andern unangeneh-
me Wahrheiten zu jagen — vom subtilen Selbfimord
•— daß Chrißenthum und sroher Lebensgenuß fich
wohl vertrage m s. s. Man merkt auch leicht,
dass der Vers. den bearbeiteten Materien gewach-
sen ist, dass er gut und gründlich denkt, und dass
er nicht minder den verschiedenen praktischen
Werth der Wahrheiten zu unterscheiden weiss. $ei-
>73
zur
ALLGEMEINEN
LITERATUR-ZEITUNG
vom Jahre 1786.
Numero 23.
GOTT ES GELAHRTHEIT.
Leipzig, bey Crusius: Predigten von Chrißian
Friedrich Sintenis, Constst. Rath und Prediger
zu Zerbst. Zweifler Theil. 1785. 1 Alphab.
iss Bogen in gr. g. ( 1 Thlr, 8. Gr.)
Erlangen, bey Walther: Einige Predigten von
SI- Wilhelm Ludwig Steinbrenner. 1785» 15
Bogen in g.
| > -r feurige Geisl: des Hm. Sintenis, der im-
mer seinen eignen Gang geht und sich nicht
gern durch gewiße Regeln binden lässt > ist sei on
aus seinen übrigen Schristen bekannt. Und ob-
wohl hier nicht dieselbe Lebhastigkeit herrscht, wie
etwa in seinen Menfchensreuden, so ist sie jedoch , zu-
mal sür Predigten, noch gross genug. Auf der einen
Seite gewinnet freylich derVortrag des Vf. dadurch
in mehr als einer Absicht. Die Aufmerksamkeit
wird dadurch rege gemacht und durch immer neue
unerwartete Wendungen fesegehalten. Manche an
{ich trockene oder alltägliche Lehren bekommen
durch die vortheilhafte Einkleidung neuen Reiz
und neues Gewicht. Auch weiss er jeden Umstand
auss Belle zu seinem Zweck anzuwenden, ja alles,
was auch etwas entfernt liegt, in den Zirkel sei-
ner Betrachtung hineinzuziehn und dem Zuhörer
1b lebhaft darzustellen, als wenn es dicht vor sei-
nen Augen läge. Und da er vollends die Sprache
Pehr in seiner Gewalt hat, so muss man gestehn,
dass sich seine Predigten sehr gut lesen, und ver-
muthlich noch belser hören lassen. Aber auf der
andern Seite ist der Verf. nicht nur fast zu 'wort-
reich , sondern seine Lebhastigkeit verleitet ihn
auch zu manchen Digreliionen , und an manchen
Stellen zur wirklichen WeitUhweisigkeit. Daher
die Länge der Predigten , die das gewöhnliche
IVIaas gar sehr übersteigt. Denn in mehr als an-
derthalb Alphabeter sind nur zehnPredigten enthalten.
Auch rührt es wohl von dieser Lebhastigkeit her,
dass er sich zuweilen mancher allzu sinnlichen Vor-
siellungen bedient; dass er sich ferner im Vorträ-
ge nicht immer gleich bleibt. Bald ist die Sprache
A» L> ä786. Supplementband.
so populär, wie sie billig immer in Predigten feya
soll; bald steigt er wieder in die Höhe, fängt an
zu declamiren, gebraucht Figuren und Redensar-
ten, die dem Kanzelredner billig nicht erlaubt sind.
Der ungeübte Zuhörer und Leser ward daher man-
che Stellen nicht völlig verstehn, und der geübtere
wird aus der andern Seite auch manche Auswüchse
der Deklamation wegwünsehen. Dieser Mängel
unerachtet behalten doch diese Predigten noch al-
lemal viel Gutes übrig; und können wir sie gleich
nicht als Muster andern Predigern empfehlen, so
glauben wir doch, dass sie mehrern Lesern zur
wahren Erbauung brauchbar werden könneu.
Denn die Sachen sind gut gewählt , ihre Erklä-
rung ist richtig und die Anwendung vortreslich.
Der Verfaßet ist mit der Wahrheit und dem
menschlichen Herzen bekannt; er kennet auch die
gangbaren Vorurtheile, und verlieht dieKunst mei-
sterlich , diefelben in ihrem Ungrunde und nach
ihren schädlichen Folgen darzustellen, und belsere
Ueberzeugungen an ihre Stelle zu setzen. , Gleich
die erste Predigt über die Natur und den Nützen
des heil. Abendmahls beweiset dies, aber auch meh-
rere andere, deren Inhalt wir nicht anführen kön-
nen. Auch die beiden letzten Predigten von den
Pflichten gegen die Selbßmörder, und wider den
Aberglauben in der Religion zeichnen sich durch die
Wahl der Materie so wohl, als durch die Bearbei-
tung selbst vor andern aus.
Nicht so lebhaft ist Hr. Steinbrenner , aber
auch zuweilen zu rednerisch und wortreich; und
durchgehends nicht populär genug. Vortrag und
Aussührung sind so beschaffen, dass nur nachden-
kende und aufgeklärte Christen Nutzen davon ha-
ben können. Uebrigens sind die Materien wichtig,
z. E. Klugheitsregeln für diejenigen, welche in die
Nothwendigkeit rerfetzt werden , andern unangeneh-
me Wahrheiten zu jagen — vom subtilen Selbfimord
•— daß Chrißenthum und sroher Lebensgenuß fich
wohl vertrage m s. s. Man merkt auch leicht,
dass der Vers. den bearbeiteten Materien gewach-
sen ist, dass er gut und gründlich denkt, und dass
er nicht minder den verschiedenen praktischen
Werth der Wahrheiten zu unterscheiden weiss. $ei-