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Deutsches Archäologisches Institut / Abteilung Athen [Hrsg.]
Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung — 41.1916

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Drittes Heft
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Möbius, Hans: Über Form und Bedeutung der sitzenden Gestalt in der Kunst des Orients und der Griechen
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https://doi.org/10.11588/diglit.37286#0167
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FORM UND BEDEUTUNG DER SITZENDEN GESTALT

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erscheint fast nie anders als vollbekleidet, die Körperformen
verschwinden völlig unter dem schweren Zottenrock oder dem
Mantel.
So erklärt sich das Schwanken der Proportionen bei
sumerischen Statuetten. Einige1 muß man schon von der Seite
sehen, um überhaupt zu erkennen, ob sie stehen oder sitzen,
gerade die charakteristischen Merkmale des ‘Gedankenbildes’
eines sitzenden Menschen, nämlich die beiden rechten Winkel,
welche die Oberschenkel mit Rumpf und Unterschenkeln bilden,
sind verwischt, der Sitz wird von der wuchtigen Gestalt völlig
zusammengedrückt.
Andrerseits bildet sich bald ein entgegengesetztes Extrem
der Formgebung heraus: der Rumpf erscheint unverhältnismäßig
verkürzt, die Oberschenkel ebenso stark in die Länge gezogen,
die Linie des Gewandes verläuft in einer sanften Kurve, ohne
am Knie einen rechten Winkel zu bilden, von den Hüften zu
den Füßen. Wir möchten diese zweite Art der Darstellung die
‘orientalische Silhouette’ nennen; sie hat nämlich, wie wir im
folgenden sehen werden, so stark nachgewirkt, daß wir einen
kurzen Terminus brauchen, um sie zu umschreiben2. Ein
frappantes Beispiel bietet in altsumerischer Zeit die Dioritstatuette
einer Frau in Berlin (Taf. VI l)3.
Beide Extreme treten nebeneinander in Gipssteinfiguren aus
Assur auf4 5.
Die weitaus bedeutendsten Sitzfiguren sind die bekannten
Bilder des Fürsten Gudea von Lagasch6. Daß sie als Weih-
statuen dienten, beweisen der Tempelplan oder die Tafel mit
dem Maßstab, die Gudea auf den Knieen hält. Die Haltung
1 Z. B. King, A History of Sumer and Akkad, Taf. zu 102. K. i. B. II
41, 6, 7.
2 Der hier geprägte Ausdruck ist bereits von Regling (Die antike
Münze als Kunstwerk S. 24) übernommen worden.
3 Amtl. Ber. a. d. Kgl. Mus. 36, 1915, 187f. Fig. 78. Curtius, Antike
Kunst I 245 Abb. 206; danach hier Taf. VI 1.
4 Vgl. Andrae, Arch. Ischtar-Tempel in Assur, 39. Veröff. d. DOG.
Taf. 44b Nr. 85 mit Taf. 43 d Nr. 84.
5 ‘L’architecte au plan’: Dec. en Chaldee pl. 16—19. Heuzey, Catal.
du Louvre Nr. 45. Curtius, Antike Kunst I 223 Abb. 107. K. i. B. II 45,1.
‘L’architecte ä la regle’: Dec. pl. 14, 15. Heuzey 1. c. Nr. 46.
 
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