Gewandschemata der archaischen Kunst
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zu bekommen, muß man ein weites Gewand nehmen. Die Zahl wird also
vom Geschmack bestimmt.
§ 16. Aber, Falten am Gewand sind in der Wirklichkeit etwas Ge-
wöhnliches; die Darstellung der betreffenden Linienschemata durch
sie bedeutet ohne Zweifel einen Schritt zum Naturalismus. Weiter,
der Künstler der Athena vom Aiginawestgiebel (Brunn-Br. 23) hat
sich sicher das Schema als durch Raffung entstanden vorgestellt:
der untere Rand der Quetschfalte liegt höher als der des übrigen
Stoffes, auch die Schrägfalten ergeben sich dabei. Schon bei der
Athena der Schatzhausmetope von Delphi (Fouilles IV Taf. XXXVIII)
liegt der Quetschfaltenrand in einer Linie mit dem anderen; hier ist
also das Schema nicht so naturalistisch aufgefaßt. Wir kennen nun aber
seine weitere Vorgeschichte: die Ausgestaltung von Abb. 2 steht am
Anfang, bei der keine Spur von Nachahmung natürlicher Falten vor-
handen ist; es ist also nichtnaturalistischer Herkunft, wird aber am Ende
mit ‘Natur’ erfüllt.
Ebenso ist es dem Schema der abwechselnd schmalen und breiten
Senkrechten (§ 2) ergangen. Dem spartanischen Beispiel vom Ende des
VII. Jhrh. liegt jeder Naturalismus fern. Auch bei der Karyatide des
Knidierschatzhauses Fouilles IV 64 No. 31 Abb. 34 gibt es keinen natür-
lichen Grund, weshalb die Falten der Raffung am Oberschenkel sich in
gleichmäßig breite, am Unterschenkel dagegen in abwechselnd breite und
schmale legen sollten; der Grund ist lediglich ein ornamentaler; er ist
es noch am Harpyienmonument (Brunn-Br. 146/7), an dem gleichmäßig
schmale — bei den Seelen — und gleichmäßig breite — beim Adoranten
der Ost- und Heros der Südseite — gleich berechtigt neben den ab-
wechselnd breiten und schmalen Falten — bei den Heroinen der West-
und dem Heros der Nordseite —- stehen. Die Stele vom Esquilin dagegen
(Jahrb. XXVI 1911,174) bringt die naturalistische Interpretation, rndem
die schmalen als zwischen den äußeren Faltenwindungen sichtbarer Rest
der inneren aufgefaßt werden.
Beim Aeakes (A. M. XXXI 1906 Taf. XIV Beil. 151) schmiegen sich
die Falten so ‘natürlich’ dem Körper an und fallen ganz den natürlichen
Gesetzen entsprechend, daß man meinen möchte, der Künstler habe sie
eben auf Grund von Naturstudien geschaffen; und doch hat er das Schema
nicht erfunden, sondern nur übernommen, dabei aber die starr geo-
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zu bekommen, muß man ein weites Gewand nehmen. Die Zahl wird also
vom Geschmack bestimmt.
§ 16. Aber, Falten am Gewand sind in der Wirklichkeit etwas Ge-
wöhnliches; die Darstellung der betreffenden Linienschemata durch
sie bedeutet ohne Zweifel einen Schritt zum Naturalismus. Weiter,
der Künstler der Athena vom Aiginawestgiebel (Brunn-Br. 23) hat
sich sicher das Schema als durch Raffung entstanden vorgestellt:
der untere Rand der Quetschfalte liegt höher als der des übrigen
Stoffes, auch die Schrägfalten ergeben sich dabei. Schon bei der
Athena der Schatzhausmetope von Delphi (Fouilles IV Taf. XXXVIII)
liegt der Quetschfaltenrand in einer Linie mit dem anderen; hier ist
also das Schema nicht so naturalistisch aufgefaßt. Wir kennen nun aber
seine weitere Vorgeschichte: die Ausgestaltung von Abb. 2 steht am
Anfang, bei der keine Spur von Nachahmung natürlicher Falten vor-
handen ist; es ist also nichtnaturalistischer Herkunft, wird aber am Ende
mit ‘Natur’ erfüllt.
Ebenso ist es dem Schema der abwechselnd schmalen und breiten
Senkrechten (§ 2) ergangen. Dem spartanischen Beispiel vom Ende des
VII. Jhrh. liegt jeder Naturalismus fern. Auch bei der Karyatide des
Knidierschatzhauses Fouilles IV 64 No. 31 Abb. 34 gibt es keinen natür-
lichen Grund, weshalb die Falten der Raffung am Oberschenkel sich in
gleichmäßig breite, am Unterschenkel dagegen in abwechselnd breite und
schmale legen sollten; der Grund ist lediglich ein ornamentaler; er ist
es noch am Harpyienmonument (Brunn-Br. 146/7), an dem gleichmäßig
schmale — bei den Seelen — und gleichmäßig breite — beim Adoranten
der Ost- und Heros der Südseite — gleich berechtigt neben den ab-
wechselnd breiten und schmalen Falten — bei den Heroinen der West-
und dem Heros der Nordseite —- stehen. Die Stele vom Esquilin dagegen
(Jahrb. XXVI 1911,174) bringt die naturalistische Interpretation, rndem
die schmalen als zwischen den äußeren Faltenwindungen sichtbarer Rest
der inneren aufgefaßt werden.
Beim Aeakes (A. M. XXXI 1906 Taf. XIV Beil. 151) schmiegen sich
die Falten so ‘natürlich’ dem Körper an und fallen ganz den natürlichen
Gesetzen entsprechend, daß man meinen möchte, der Künstler habe sie
eben auf Grund von Naturstudien geschaffen; und doch hat er das Schema
nicht erfunden, sondern nur übernommen, dabei aber die starr geo-