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Eike <von Repgow>; Amira, Karl von [Hrsg.]
Die Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels (Band 1) — Leipzig, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22098#0026
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der Kreuzauffindung (vor 814)1). Gegen das Ende des Q.Jahrhunderts
drängen sich diese rein illustrativen Bestrebungen sogar in eine Handschrift
ein, die ihrer sonstigen Anlage nach vorzugsweise dem Prunk des Gottes-
dienstes gewidmet war, in das Psalterium aureum zu St. Gallen. Aller-
dings erst vierthalb Jahrhunderte später beginnt die ununterbrochene Reihe
von Arbeiten jener Gattung mit der Milstädter Handschrift (c. 1150)2)
und dem Prüfeninger Historieneyklus von den Tugenden und Lastern
(1158, Clm. 13002) sowie den aus derselben Schule stammenden Welt-
schöpfungs-Bildern des Clm. 14399. 1175 vollendet Herrad v. Lands-
berg im Kloster Hohenburg ihren Hortus delicianim und um dieselbe Zeit
Werinherv. Tegernsee die 85 Bilder zu seinem Liet von der maget. Damals
oder doch bald nachher wird in Mitteldeutschland das Rolandslied des
Pfaffen Konrad mit mindestens 39 Szenen ausgestattet. Dem 12. Jahrhundert
gehört auch die Lambacher Handschrift No. 73 mit farbigen Zeichnungen
zu einer Sammlung von Ritualien3) an. Um 1200 gingen aus der Prüfeninger
Schule die Cyklen zum Dialogus de cruce Christi und zu den vitae Aposto-
lorum hervor. Noch vor 1216 schuf Konrad v. Scheyern den noch
bedeutenderen Bilderkreis zur Teophilus-Legende. Bald nachher stieg
bei dem Lehrgedicht vom Wälschen Gast (1216) und bei der Eneidt
die Zahl der Darstellungen schon beträchtlich über hundert, und über tausend
illuminierte Zeichnungen muss die um 1250—1275 in Mitteldeutschland ge-
fertigte Handschrift von Wolframs Willehalm enthalten haben, wovon
Bruchstücke auf der Heidelberger Bibliothek (No. 362a) und auf der Münchener
Staatsbibliothek (Cgm. 193e 13) erhalten sind. Die Welislaw-Bibel mit
ihren 747 Federzeichnungen führt uns schon in, wenn nicht über die Zeit
hinaus, der die erste Sachsenspiegel-Illustration angehört. Etliche unter
diesen Werken müssen wir noch in einem engeren Sinne als Vorläufer der
Bilderhandschriften des Sachsenspiegels betrachten wegen der Anordnung
ihrer illustrativen Teile. Einem Schema folgend, das bei gewissen biblischen
Cyklen schon in karolingischer Zeit beobachtet wurde und durch Vermitte-
lung altchristlicher Malereien auf antike zurückgeht, stellt der Zeichner 2—3
Bilderstreifen über einander, gewöhnlich, wo er einen geschlossenen
Text begleitet, auf besonderen Seiten, doch in den Heidelberger und Mün-
chener Willehalm-Fragmenten4) in eigenen Bilderkolumnen neben Text-
kolumnen, ganz ebenso wie es in den Sachsenspiegel-Handschriften geschieht.
Wie in diesen, so vermittelten auch in den eben genannten Willehalm-
Fragmenten Buchstaben die Verbindung von Wort und Bild. Es mag
hier angemerkt werden, dass wenigstens das allgemeine Schema jener An-
ordnung in übereinander liegenden Streifen auch der sächsisch-thüringischen
Buchmalerei zwischen 1150 und 1250 geläufig war5).
Ältere Rechts- Was aber gegenüber allen Vorgängern, und zwar auch den ausser-
iiiustrationen. deutschen, den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels ihre eigenartige
Stellung sichert, das ist der Gegenstand. Wohl hatte man schon seit
dem Beginn des 9. Jahrhunderts in die eine oder andere Rechtshandschrift
gelegentlich einige Federzeichnungen aufgenommen0), die an den Anfängen
der Hauptstücke die Urheber der Gesetze darstellen sollten, den König
oder Herzog mit seinen Hofleuten und seinem Schreiber, den cunetus
populiis, die Verfasser der lex Salica. In der Lambach er Ritualien-
sammlung hatten Bilder der Eisenprobe und des Kesselfanges Eingang
gefunden7), und in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts war in Italien
und Frankreich die Ausstattung des Decretum Gratiani, der Decre-
talensammlungen und der Pandekten8) aufgekommen, deren Miniaturen,
obschon unter Betonung des dekorativen Zweckes, doch wenigstens an
den Bücheranfängen rechtliche Hergänge im Zeitkostüm darstellten. Und
es muss sogar die Möglichkeit eingeräumt werden, dass eine so geschmückte

*) Wenn gewöhnlich dieser Teil der Handschrift (Clm. 22053) i n das Jahr 814 oder
815 gesetzt wird, so beruht dies auf ungenügender Unterscheidung der Bestandteile der
Handschrift. — Auch die Trierer Apocalypse wäre hieher zu stellen, wenn ihr deutscher
Ursprung feststände.

2) Siehe ihre Zeichnungen in G. Diemer's Ausgabe von Genesis und Exodus
nach der Milst. Handschrift 1862.

s) Beschrieben von F. J. Mone im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit VIII
(1839) Sp. 606f und Rockinger in Quellen und Erörterungen VII 327.

4) Eine Probe im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit V (1836) Taf. III No. 3.
Dazu die Beschreibung von F. J. Mone ebendort Sp. 177f. und Fr. Kugler Kleine
Schriften I 4, 6f. — Fälschlich giebt A. Essenwein in seinem Kulturhistorischen Bilder-
atlas Taf. XXXXIII No. 1, 2 an, die Handschrift befinde sich im Oermanischen Museum.

s) Vergl. die Proben aus den Psalterien bei Haseloff Eine sächsisch-thüringische
Malerschule des 13. fahrhunderts (1897).

e) Hierüber P. Clemen in Zschr. des Aachener Geschichtsvereins XI 1889 S.
254—271. Die Bilder des Codex Cavensis sind sämtlich facsimiliert in Cod. dipl. Ca-
vensis T. III, IV.

7) Facsimiliert in Moni. Germ. Formulae p. 672/673.

s) Proben aus einer Pandekten (?) -Handschrift des Renault de Barr c. 1280,
angeblich in der Bibliothek zu Metz, bei J. v. Hefner Trachten, Kunstwerke und Gerät-
schaften Taf. 131.

Pandektenhandschrift den Anstoss zu der freilich ganz anders gearteten
Illustration des Sachsenspiegels gegeben habe, ein Vorgang, wie er im
14. Jahrhundert zweifellos bei der Illustration des Beaumanoir einge-
treten ist1). Indess, ein Versuch, der darauf ausging, irgend eine Rechts-
handschrift zum Bilderbuch zu machen, bleibt bis gegen das Ende
des 13. Jahrhunderts unerhört.

Es kam darauf an, in wie weit die Lösung dieser neuen Aufgabe Anknüpfungen,
ausser an eine überlieferte Anordnung des Stoffes etwa auch an kompo-
sitioneile Traditionen anknüpfen konnte und wollte.

Hergebrachte ikonographische Typen gab es zunächst für die meisten ikonogra-
jener biblischen Szenen, die zu den alt- und neutestamentlichen Anspielungen t>hlsche T>ren-
des Textes (textus prologi, I 3 § 1, II 66 § 2, III 42 §§ 3—5), sowie für
einige jener Heiligengestalten, die zum Abgabenkalender (II 58 § 2) gehören.
Dass solche Typen nicht blos dem ersten Illustrator, sondern auch seinen
Nachfolgern vorschwebten, kann nicht bezweifelt werden, wenn sich auch
nicht mehr alle einzeln nachweisen lassen, wie bei der Erschaffung des
Adam, beim Sündenfall, beim Noah, bei Isaak, Jakob und Esau. Man erkennt
nur soviel mit Sicherheit, dass in diesen Szenen die ältere abendländische
Bibelillustration2) nachklingt. Dem Sündenfall liegt jedenfalls das Schema
zu Grunde, dessen Abwandlung in ein paar Psalterien der älteren thüringisch-
sächsischen Malerschule begegnet 3). Die Tracht der heiligen Personen ist die
überlieferte, antikisierende. Wie eine abkürzende Wiederholung der Geburt
Jesu in dem Donaueschinger Psalterium (No. 309) aus dem Hildesheimischen
(nach 1235)4) nehmen sich aus D Fol. 4b No. 3, und O Fol. 7b No 3
(bei Lübben S. 12—13): dort wie hier die Krippe ein hochgebauter Kasten
mit Bogenfries, darauf das Kind von rechts nach links liegend, eingewickelt
und mit einer Binde verschnürt; dahinter die Köpfe von Ochs und Esel;
vorn unterhalb der Krippe und quer über das Bild von rechts nach links
Maria auf einem Bett; die Köpfe von Maria und dem Kind nimbiert. O
nähert sich dem Vorbild noch mehr dadurch, dass hier Maria mit einer
Decke zugedeckt ist und halbsitzend das Kind, das zu ihr hinblickt, um-
halst, während sie in D ganz in liegender Stellung verharrt und nur die
linke Hand zu dem Kinde erhebt. Bios in Bezug auf das Lokal, das in D
überhaupt nicht angedeutet ist, geht O mehr selbständige Wege, obgleich
auch in dieser Hinsicht Nachwirkungen eines älteren Typus nicht zu ver-
kennen sind5). Die Himmelfahrt setzt den Typus voraus, der sich als
jüngster erst im 13. Jahrhundert in Deutschland vorbereitete, aber auch
schon in dem oben erwähnten Psalterium sich findet(i). Wenn die Zahl
der Figuren in H und D sich auf 7 beschränkt, so hängt das mit der ab-
kürzenden Tendenz von Y zusammen, und wenn D die Apostel liegend oder
kauernd zeichnet, O nur ihre Oberkörper sehen lässt, so hat dies in einem
Denkmal der genannten Schule7) sein Vorbild. Der Crucifixus an grünem
oder rotem Kreuz ohne Fussbrett mit wagrecht ausgespannten Armen und
nach rechts gesenktem Haupt, den rechten Fuss über den linken genagelt,
wie in D, kommt zwar ganz so in der älteren thüringisch-sächsischen
Malerei selten, doch gerade in ihr vielleicht zuerst, eben dem Donaueschinger
Psalterium8) vor, dessen Typen auch sonst von den Sachsenspiegelzeichnern
verwendet wurden, war überdies in der sächsischen Plastik des 13. Jahr-
hunderts verbreitet (Triumphkreuze in der Liebfrauenkirche zu Halberstadt,
in der Klosterkirche zu Wechselburg und aus Freiberg im Museum des
sächsischen Altertums-Vereins zu Dresden)9). Der Eingang zur Vor-
hölle als Rachen wie in D Fol. 42b No. 2 ist unter englisch-französischen
Einflüssen zuerst von der thüringisch-sächsischen Malerei aufgenommen
worden10). Aber auch die Vorstellung des Einganges als Bogen wie in H
Fol. 186 No. 2 (Tafel XX 7) war der älteren sächsischen Kunst geläufig11).

*) Man braucht blos die Berliner Beaumanoir-Handschrift (Königl. Bibliothek
Hamilton 193) etwa mit dem herrlichen Digestum vetus Clm. 14022 (französisch,
14. Jahrhundert) zu vergleichen.

2) Vergl. A. Springer in den Abhandlungen der Sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften IX (1884) 677 f, 685, 692-695, 706 f., 711.

3) Haseloff a. a. O. 82. Siehe auch den Hortus delic. ed. Straub I. pl. VIII.

4) Haseloff a. a. O. Taf. XLII nebst Text Seite 93. Verwandt auch die Darstellung
in dem Missale aus Wöltingerode (c. 1300) zu Wolfenbüttel No. 569 Fol. 26 b.

5) Vergl. Hasel off a. a. O. Taf. XXXIII No. 73, XXXV.

°) Vergl. Haseloff a. a. O. Taf. XLI No. 98 nebst S. 170, 173, ferner Haseloff
zum Psalter Erzbischof Egberts von Trier 1901 S. 102.

7) Haseloff a. a. O. Taf. XLV.

8) Abbildungen bei F. X. Kraus Die Kunstdenkmäler des Grossherzogthums Baden II
Taf V. Dazu siehe Forrer und Müller Kreuz und Kreuzigung 1894 S. 29. Vergl. auch
den Crucifixus in C. Aug. 47, 7 zu Wolfenbüttel (aus Marienberg vor Helmstedt c. 1300)
abgeb. in Farben bei v. Heinemann Die Handschriften zu Wolfenbüttel II 3 S. 234/235.
Die Zeitbestimmung daselbst S. 234 ist zu früh, die Beschreibung handgreiflich verkehrt.

ü) Abgeb. in Beschreibende Darstellung der Bau- und Kunstdenkmäler v. Sachsen III 18.
W) Haseloff a. a. O. 156f., 159-162, 219 nebst Taf. VII, XIX 42, XLIII102, XLVI109.
») Siehe das Relief zu Freckenhorst bei Otte Handbuch I 542 und die Umgestaltung
des Bogens zum Höhleneingang im Donaueschinger Psalter bei Haseloff Taf. XLI 97.

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