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Eike <von Repgow>; Amira, Karl von [Hrsg.]
Die Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels (Band 1) — Leipzig, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22098#0035
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Menschengestalten, wozu der Zeichner wenigstens einen Anlauf genommen öfter vorkommt') und im 14. besonders beliebt wurde2). Die Bewaffnung ist
hat (Oeneal. 357, 381), und den stellenweisen Verzicht auf den Grössen- etwas modernisiert. Mehr unabsichtliche Änderungen betreffen den Hut
unterschied als Symbol des Altersunterschiedes1). Vielleicht dürfen wir des Landrichters und das Schappel des „Herrn" {Oeneal. 370). Hingegen
noch hinzurechnen die Ausführung des Schuhwerks und die Abwandlung gereicht es N zum Vorzug, dass diese Handschrift an bestimmten Stellen
des oben erwähnten Standmotivs zu jener stampfenden Bewegung, worin auf den Oesichtsausdruck grösseres Gewicht legte als die der Y-Gruppe
D regelmässig die Kämpfer und die eilfertigen Personen zeigt. Endlich und wohl auch X. Regelmässig nämlich, wo vom „Gerüft" und von
aber dürfte erst in D die Zeichnung der Gesichter in dem Grad summarisch kämpflicher Ansprache die Rede ist, zeichnete N den Mann, der sie erhebt,
geworden sein, der sich hier von Anfang an durch das Fortlassen des untern mit weit geöffnetem Mund und daher im vollen Profil. Von Einwirkung
Augenlides und des Nasenflügels (insbesondere im Gegensatz zu H) aus- fremder Erzeugnisse der Buchmalerei scheinen bei dieser Handschrift
spricht. Unmittelbare Abhängigkeit der Kunstweise in D von einer be- Spuren auffindbar. Auf Fol. 29b No. 3 in O trägt einer der Bauern eine ab-
stimmten Schule wüsste ich nicht nachzuweisen. Möglicherweise jedoch sonderliche Kopfbedeckung in Gestalt zweier Flügel, die von den Schläfen
könnten die vorhin genannten Innenarchitekturen auf eine Spur führen. Sie aufragen. Dieselbe Kopfbedeckung charakterisiert in einer Gruppe von
scheinen ausserhalb des Kreises der Sachsenspiegel-Illustration zu jener Zeit Armenbibeln3) die Ismaeliten, die den Josef kaufen. In der Thierornamentik,
selten. Aber in der Nachbarschaft unserer Handschrift finden sich ein paar die der Zeichner von O mit Vorliebe bei Geräten, wie z. B. Thronen, pflegt,
durchaus entsprechende Beispiele wohl am frühesten auf dem gestickten sprechen sich Reminiszenzen an spätromanische Bücherzier aus.
Antependium aus Pirna (XIV. Jahrh.)2), dessen böhmische Herkunft vermutet Von den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels behauptet also trotz Die Hand-
wird. Auf dem Weg über böhmische Mittelglieder aus der Zeit Karls IV. dem nahen genealogischen Zusammenhang, der unter ihnen obwaltet, jedesch^ee" °||feder
scheinen jene Innenperspektiven auf ein in Italien beliebtes Thronschema einzelne einen ihr eigentümlichen Wert in der Geschichte der Buchmalerei, wickiung.
zurückzugehen3). Auch der Prachtthron in D Fol. la dürfte auf ein böh- uncj es ist schlechterdings nicht an Dem, dass wir mit U. Fr. Kopp die
misches Vorbild weisen. Böhmische Einflüsse auf die meissener Buch- Verfertiger der abgeleiteten Handschriften „gedankenlose Schmierer" schelten
maierei wären bei den mancherlei kirchlichen Beziehungen, die gerade in dürften1). Gewiss standen sie dem unbekannten Meister der verschollenen
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zwischen Meissen und Böhmen be- Urhandschrift weit nach, wie an Erfindungskraft so an Einsicht in den
standen, leicht zu erklären. Im Ganzen dürfte, soweit ich mir in diesen Stoff. Mit Ausnahme der Zeichner von O und von W, die sich in der
Dingen ein Urteil zutrauen darf, D stilistisch solchen Werken nahe stehen, Hauptsache als Kopisten betrachteten, hat jeder seine Aufgabe als die einer
wie wir sie in der gleichfalls ostmitteldeutschen (schlesischen) Armenbibel freien Nachbildung aufgefasst, die ihm nicht nur die Befolgung seines
zu Constanz4) und in derjenigen zu Wolfenbüttel5), deren Illumination aller- eigenen Stiles gestattete, sondern ihn auch zu selbständigem Durchdenken
dings völlig abweicht6), vor uns haben. In diesem Stil hat der Zeichner des Gegenstandes nötigte. Oftmals sind sie dabei Missverständnissen
mit denselben geistreich-skizzenhaften und nicht selten humoristischen unterlegen. Manchen kräftigen Zug des Originals haben sie auch verflaut.
Zügen, womit er seine eigenen Erfindungen hinschrieb, auch seine Vor- Im Wesentlichen jedoch ist in ihnen die Erkenntnis von der ungewöhnlichen
läge übersetzt. Art der illustrativen Aufgabe und von den ihr gemässen Mitteln lebendig

von h. H zeichnet sich hauptsächlich durch Verrohung aller Formen bei ver- geblieben. In dieser Hinsicht dürfte sogar noch der Illustrator von D seine

hältnismässiger Treue in sachlicher Hinsicht und im Kolorit aus. Doch Kollegen von Y, H und N übertroffen haben. Wir haben es demnach nicht

haben auch hier einige kompositioneile Änderungen stattgefunden. Die mit einem einzigen Werk, sondern mit einer Geschichte von Werken zu

Reihenfolge der Bilder zu den Abgabenterminen wurde chronologisch thun, die am Ausgang des hohen Mittelalters anhebt und in einer Dauer

umgeordnet. Etliche leere Schilde wurden mit Wappen ausgefüllt, von drei Vierteln eines Jahrhunderts sich ins Spätmittelalter hinein erstreckt.
Oeneal. 382f. Die geschichtliche Würdigung der Sachsenspiegel-Illustration erheischt spätere Buch-

von o. O kann im Kolorit (oben S. 19) nur sich selbst vertreten, während in noch einen Blick auf die ihr folgende Zeit. Die Bücherillustration des 1,Iustratlon-

der Zeichnung der Codex das Wesentliche von N widerspiegelt, — ab- Spätmittelalters und der beginnenden Neuzeit hat sich vorwiegend andern

gerechnet die Vergröberung der Formen, die durch das Bausverfahren ver- Erzeugnissen der Literatur zugewandt, und auf diesen Gebieten, wie schon

ursacht wurde und insbesondere der Gestikulation geschadet hat. Das Ver- das Balduineum belegt, hat sie ihre eigentlichen Fortschritte vollzogen. Die

ständnis für die Bedeutung der charakteristischen Kleiderfarben scheint, illustrierten Sachsenspiegel sind die einzigen Werke ihrer Art geblieben.

soweit die Illumination in O reicht, verloren. Der Handschrift N war , ,. . , ,. D , , . , „ . , 7 ., ,n . p. , ,

, , . . ,. , . . . . . Immerhin ist die Buchmalerei der folgenden Zeit weder in Deutsch- insbes. der

mancherlei eigentumlich: von vorn herein das grössere Format bei den . , , , ... ... , n ... , ... nt 7tt Rechtsliteratur

6 . , „ , , , ^ , , . land noch anderwärts achtlos an der Rechtsliteratur vorüber gegangen. Zu- «ecntsllteratur-

meisten Bildern, das sich aus der Gesamtanlage des Codex ergab, in Ver- .. , , , , .... . „ ., ,_,___, j;„

,. , . . , ,. _ , nächst gedenken wir hier jener langen Reihe von Handschriften, welche die Erste Klasse,

bindung damit die Zer egung vieler Bi der, sowie die Zusammenlegung ,_, , /f , ... „ ; a n u*. u- u a a u n ■ a„„

.s. , , .. - r-. . ,. ,, .,. , • . Hauptabschnitte von Gesetz- und Rechtsbuchern oder doch wenigstens den

von einigen, aber auch tiefere Eingriffe in die Komposition und in den _. , ,v, . ..... . , . ... . , , ., D.,, . n

6 ' , . , ,°. , , ' . . T , ,. Eingangdes Werkes mit figurierten Initialen oder auch mit Bildern in geschlos-

vergrosserten Bildern eine ausführlichere Behandlung der Nebendinge, „ . D . A , ., ,. . , ... ■ , ■ ö

, * , nrn „„„ _ , , , _ . , senen Rahmen eroffnen. Bei Arbeiten dieser Art liegt der dekorative

(Oeneal. 369, 383). Damit steht im Zusammenhang, dass der Zeichner _ , T _ , ... . „..„. . ,, , . , , , . An„

., , , ' _ ' , . , , . . ' . . ... , Zweck am Tage. Er stellt sie, so auffallig sie selbst sich auch durch den

mitunter dem Ornamenta en einen unverhä tnismässigen Spielraum gewahrt „ ... v . , , „ , ., , , n ...,. .« .. c~,~

. ... _ . ,L „ r- . ,o /. »uu Stil von Komposition, Zeichnung und Kolorit, durch Geschicklichkeit, Sorg-

oder auch sich ins Genrehafte verliert letzteres z B. fol I8a (Lubben 21), m und pracht der Ausfflh unterscheiden, in gemeinschaftlichen Gegen-

wo er umständlich das Teilen der Hofspeise schildert, Fol 17b No. wo ^ m den Codjces ^ deg Sachse j ls. Wir hen darum auf

er nicht blos das Gesinde, sondern auch die Hunde am Tisch des Erben ,. . . , ' . ... ... . , ra ,___u,K„i „„

, , ,,,-,.,.,'„,.,, . v , j die einzelnen Glieder dieser Klasse nicht naher ein, sondern beschranken

bedenkt. Im Zeichnerischen fällt die durchgangige Änderung des Stand- ... . Duii a t i -7 i -™^+

.... ,. , „. ,. _ ° &, . ° ,. _.. uns auf folgende allgemeine Beobachtungen. Der dekorative Zweck nimmt,

motivs bei männlichen Figuren auf: die Beine steif gespreizt, die Fusse, , ? A „ , ... ... .„ . . , c„j„„ „;„u„,,„„

, , , , ... „ ., . , , l . , wo der Malgrund Pergament, nicht mit der illuminierten Federzeichnung,

in groben Lederschuhen steckend, in voller Seitenansicht auf einer und , ° ., . ° , , . .. , _ ... . ____, . . . . . . .

, & „ ,. . , ' x, sondern nur mit der Deckmalerei vorlieb. Er lasst es auch nicht leicht bei

derselben Linie. Zu der geschmacklosen Manier des Zeichners von N ge-
hört auch die beständige Wiederholung der auseinanderfliegenden Zipfel

an den Männerröcken, eines Gewandmotivs das schon im 13. Jahrhundert V) z B am standbild Heinrichs d. L. im Braunschweiger Dom und wahrscheinlich

am alten Roland zu Halle, wenn man aus seiner modernen Nachbildung zurückschliessen
darf. S. Sello Der Roland zu Bremen S. 16f. und vergl. die Rolande zu Nordhausen

•) So z. B. bei I 32, 38 § 2 verglichen mit O. und m Neustadt j Harz bei Berin guier Die Rolande Deutschlands S. 117, 123. Vergl.

2) Museum des sächsischen Altertums-Vereins zu Dresden, abgebildet bei J. v. Falke ferner das Standbild des Verführers in der Münstervorhalle zu Freiburg i. Br., den Clm.
Geschichte des deutschen Kunstgewerbes (1888) 112/113. 3900 (ca. 1250) Fol. 3 b, 5 a, 6 a, b und den Clm. 4660 (ca. 1225) Fol. 72 b, 91 a.

3) Vgl. z. B. die italienischen Handschriften des Decretum im Brit. Museum Addit-Mss. aj Insbesondere in der Heidelberger Liederhandschrift Taf. 17, 26, 36, 43, 55, 95,
15274 (Reprod. bei G. F. Warner Itttttn. Mss. I) und Clm. 23552 (Photographie von 133> 13Qj dn paarmal auch in der Weingartener Liederhandschrift, oft auf den Teppichen
Teufel No. 410). Auch in deutschen Handschriften kehrt diese Architektur als Thron zu Marienberg vor Helmstedt und im herz. Museum zu Braunschweig; besonders charak-
wieder, so im Cgm. 1139 Fol. 62 (vergl. mit D Fol. 86 b No. 1), ferner in der Constanzer teristisch auf den Wandgemälden des Chors zu Wienhausen (Borrmann Aufnahmen
Richenthal-Handschrift Fol. 99a. Lief 4)_ VergL auch y v< Hefner Trachten, Kunstwerke und Gerätschaften Taf. 165,

4) In dieser auch obiges Thronschema, Taf. 3 bei Laib und Schwarz. 170, 172, 179.

5) Sie ist nicht, wie F. X. Kraus Geschichte der christlichen Kunst II 275 behauptet, 3) Z. B. Clm. 4523 (14. Jahrh.) Fol. 53 a, Clm. 19414 (14. Jahrh.) Fol. 162 b, Clm.
„verschwunden", sondern als Cod. Heimst. 35 a 2° in Wolfenbüttel zu finden. 8121 (15. Jahrh.) Fol. 5 a, Clm. 23426 (ca. 1400) Fol. 5 b. Einen Kopfputz mit jenen Flügeln

«) Wie in mehreren andern Armenbibeln farbig nur in den Schatten, ja fast nur in trägt eine Statue der hl. Elisabeth von 1545 (aus Nürnberg?) bei Louandre Les arts

Konturen, — eine Manier, die übrigens auch schon der älteren sächsischen Malerei nicht somptuaires II 145 (vergl. Texte II 223).

fremd war, wie die Hamerslebener Bibel im Domgymnasium zu Halberstadt beweist. 4) Kopp Bilder und Schriften II 33, führt als Beleg für sein Urteil die Art an, wie

Nachklänge dieser Manier lassen sich immerhin auch noch an einigen Stellen in D er- W (D) und O den Papst zu Pferde steigen lassen. Als ob der Papst nach der Meinung

kennen. der Zeichner gerade rittlings zu Pferde hätte sitzen müssen — im Ornat!

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