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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0058
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219

wir wegen des Gegenstandes der Komposition den Gelöbnisgestus erwarten würden und
den ihm ähnlichen Befehlsgestus antreffen (oben 214 f.). Dem Anschein nach hat sogar
schon der Urheber von X diese Verwechselung begangen und zwar bei II 15 § 1 (vom
Geloben der Klaggewähr), einem Text, der zur Achtsamkeit auf die richtige Form auf-
forderte: sowohl in 0 45 a Nr. 1 (Gegensinn, bei Grupen a. a. 0. 32) wie in D 26a Nr. 1
erscheint der gelobende Kläger mit dem Befehlsgestus. Möglich also auch, daß etwa bei
der Zustimmung zum Geschäft eines Andern, die nach den Quellen äigito, cum elevatione
digiti vor sich ging,1) der Befehlsgestus auf unsern Bildern (oben 214) aus dem Gelöbnis-
gestus abgeleitet werden muß. Aus der Wesensgleichheit des Zustimmens mit dem Geloben
(Loben)2) würde sich dieses vollkommen erklären, da das Eine wie das Andere ein Gutheißen
ist, weswegen ja auch das Zustimmen ein laudare heißt. Möglich ferner, daß die Erwiderung
der Gelöbnisgebärde mit einer gleichen durch den Gegenkontrahenten, die quellenmäßig
bezeugt wird,3) sich ebenfalls hinter einem Befehlsgestus verbirgt.

Übrigens dürfen wir nicht Übersehen, daß die geschriebenen Zeugnisse keineswegs
immer, wenn sie eine Rechtshandlung mit ,Fingern' geschehen lassen, die nämliche Gebärde
meinen. Das Kiesen eines Vormundes z. B. erfolgt nach Nik. Wurm mit vingern und
mit wangen. Hier den Gelöbnisgestus. zu vermuten, wäre sehr voreilig. Denn der weitere
Verlauf des von ihm beschriebenen Hergangs zeigt, daß der Kiesende die Finger seiner
rechten Hand auf des Gekorenen linke Achsel legen muß.*) Daher könnten auch die
Ausdrücke abnegationem facere incurvatis digitis, renunüare (resignare) digito, uflaesen mit
den fingern es nicht rechtfertigen, die Gebärde cum incurvatis digitis (oben 193) mit dem
Gelöbnisgestus gleichzusetzen,5) selbst wenn feststünde, daß renunüare (resignare) digito
und abnegationem facere incurvatis digitis eine und die nämliche Form bedeuten. Jene
Gleichung hätte auch nichts weniger als die Wahrscheinlichkeit für sich. Beim Gelöbnis-
gestus ist das Aufstrecken eines Fingers die Hauptsache, bei der dbnegaüo curvatis digitis
das Krümmen aller oder doch einiger Finger, — jener dient einem affirmativen Geschäft, diese
einem renunciativen. Wie das curvare digitos aussah, können wir uns ungefähr vorstellen
nach der Cisterzienser-Pantomimik bei Wilhelm v. Hirsau ConsUt. I 23: pro signo negationis
summitatem medii digiti polliei pone et ita fac prosilere, womit zwar nicht im Einzelnen der
Ausführung, doch im Grundgedanken der holsteinische Auflassungsgestus (Daumen unter
dem vierten und fünften Finger eingeklemmt, Handfläche vorwärts gekehrt) übereinstimmt.6)

1) J. Grimm a. a. 0. 195, R. Schröder a. a. 0. 7, Puntschart a. a. 0. 35, 36, 345.

2) Hierüber gut Puntschart a. a. 0. 31—36, dessen weiteren Erörterungen über das Objekt des
Gelobens ich jedoch nicht beipflichten kann.

3) Puntschart a. a. 0. 359.

4) Liegnitz Petropaulin. Ha. 1 (a. 1386) fol. 74 b, Görlitz Milichsche Hs. v. 1387 zu Landr. I 23.
Vgl. auch die cit. Liegnitzer Hs. fol. 306: Kur eines gemeinsamen Vormundes durch Mehrere mit vingern
und mit czungin. Gleichbedeutend in der Glosse zu Lehenr. 26 mit hand und mit munde.

5) So R. Schröder Lehrbuch der deut. Rechtsgesch.* 295. P. Puntschart Schxddvertrag 352, 357 f.,
anscheinend auch schon J. Grimm Rechtsaltert.* I 195 f. Vgl. auch R. Schröder in N. Heidelb.
Jahrb. VIH 7.

e) Beschrieben von Tagg in Zeitschr. f. scMestcig-holst.-laueiib. Geschichte XII 191, darnach bei
R. Schröder Lehrbuch4 61.
 
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