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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0066
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227

Formen symbolisieren nicht sowohl den Schutz als vielmehr die Verfügungsmacht und die
Vertretung, — die Verfügungsmacht, wenn der Vormund den Mündel an der Hand ergreift,
— die ,Vertretung' buchstäblich, wenn er den Mündel hinäer sich bringt, d. h. von seiner
linken Seite rechtsüber hinter seinen Rücken zieht.1) Es gab ferner Riten für das Kiesen
eines Vormundes durch den Mündel. Aber weder der in literarischen Quellen beschriebene
noch der aus den Ssp.-Bildern sich ergebende (unten Nr. 23) hat mit unserm Schutzgestus
irgend etwas anderes gemein, als daß die Hand eben eine Rolle dabei spielt.

Werden wir demnach wohl dabei stehen bleiben müssen, daß die Schutzgebärde ihren
Ursprung der Kunstsymbolik verdanke, so entbehrt doch auch, dieses Ergebnis nicht alles
rechtsgeschichtlichen Wertes. Denn dabei bleibt es, daß in der mittelalterlichen Kunst
das Überbreiten der Hand hauptsächlich die Vormundschaft und also die munt (frankolat.
manubtirnia, altfranz. mainbournie) interpretiert, was für die Gleichung ahd. munt —
ags. mund, anord. mund (,Hand') ins Gewicht fällt.

13. Jüngere Schwurgebärden. Zwar gehört nach den älteren Ssp.-Bildern ebenso
wie nach literarischen Quellen zur normalen Form einer Eidesablage das Berühren des
Reliquienbehälters mit Zeige- und Mittelfinger (unten Nr. 34). Die Zeichner von D und
W jedoch ersetzen das Auflegen der Finger gewöhnlich durch das bloße Darüberhalten.
Vgl. z. B. D 27b Nr. 1, 32b Nr. 3, 35a Nr. 2, 36a Nr. 4, 37a Nr. 4, 37b Nr. 1, 39a
Nr. 1-3, 39b Nr. 1, 4, 40b Nr. 2, 5, 54a Nr. 6, 55a Nr. 3, 5, 59a Nr. 3, 4 mit H 7b
Nr.l, 8b Nr.2, IIa Nr. 2, 12a Nr. 4, 13aNr.4, 13 b Nr. 1, 15a Nr.2, 3, 15b Nr. 1,4,
16 b Nr.2, 5, 28 a Nr. 6, 29 a Nr. 3, 5, 3 a Nr. 3, 4 (Taf. VII 6, VHI 8, XI 8, XIII 4,
XIV 9, XV 2, XVI 9, 10, XVII1, 4, 7, XVIII 7, 9, XXXI 2,10, XXXII 2, III 3, 4), ferner
D 9a Nr. 1 mit 0 15a Nr. 2 (bei Lübben 18/19). Mitunter findet sich dies auch schon
in H und in 0. S. z. B. H 7b Nr. 2, 10a Nr. 2, 10bNr. 1, 15b Nr. 3, 16a Nr. 4,
26b Nr. 3, 29a Nr.2, 4, 3b Nr.l, 5a Nr.l, 6b Nr.l (VII 7, X 3, XI 1, XVII 6,
XVIII 3, XXIX 2, XXXI 9, XXXII1, HI 6, VI, VI 5), 0 13 a Nr. 1 (bei Büsching
Wöchenü. Nachrichten IV Taf. zu S. 6 Nr. 7), 17 a Nr. 1, 47 a Nr. 2, 48 b Nr. 1, 51a
Nr. 2, 52 a Nr. 2, 59 a Nr. 2, 68 b Nr. 2, 3, 72 a Nr. 4, 79 b Nr. 1. Dafür bewahrt an
mehreren Stellen auch noch D übereinstimmend mit H die Tastgebärde. Vgl. D 33 b Nr. 2,
34b Nr. 2, 53b Nr. 1, 58b Nr. 3, 59a Nr. 2 mit H 9b Nr. 2, 10b Nr. 2, 27b Nr. 1,
2 b Nr. 3, 3 a Nr. 2 (Taf. IX 7, XI 2, XXX 2, II 8, III 2), und wo in D nicht die Schwur-
finger das Reliquiar berühren, wird doch sehr oft, wenigstens beim Landrechtstest, die
Gebärde der rechten Hand von einer tastenden oder greifenden der linken Hand begleitet,
indem diese den Ständer des Reliquiars anfaßt wie z. B. 6 b Nr. 1, 3, 13 b Nr. 1, 14 b
Nr. 3, 20b Nr. 1, 24b Nr. 2, 27b Nr. 1, oder nach ihm greift wie 6b Nr. 2, 8a Nr. 1,
12a Nr. 3, 13a Nr. 5, 21b Nr. 4, 5, 22a Nr. 2, 23a Nr. 3, 27b Nr. 2 u. s. o.

Ein Grund, der die Zeichner hätte bestimmen können, von dem wirklichen Eidritus
mit Bewußtsein abzuweichen, läßt sich nicht entdecken. Aber auch dafür, daß das Auf-
geben der Tastgebärde lediglich auf ein Versehen oder eine Ungeschicklichkeit etwa des
Zeichners von X zurückgehe, spricht keine Wahrscheinlichkeit. Die Fälle sind zu zahl-

x) Ausführlich beschrieben in der Glosse des Nie. Wurm zu Ssp. I 23 und II 17 in den Hss. zu
Görlitz {Mielichsche Sammlung Nr. 1) und zu Liegnitz (Petropaulin. Bibl. Nr. 1). Erwähnt wird das hinder
sich breiigen auch in der Weichbildglosse zu art. 75.
 
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