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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0070
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geben D 85b Nr. 6, 87a Nr. 4, 57 a Nr. 3, und ebenso wer kein Lehen empfangen kann
57 a Nr. 2. Ja sogar ein Nichtkönnen, das nicht in einer Unfähigkeit der Person, sondern
in der Untauglichkeit des Objekts gründet, drückt Armverschränkung aus, wie bei dem
Nichtleihenkönnen 77a Nr. 5, — ein Nichtdürfen 89b Nr. 5,1) — endlich aber auch
die Untätigkeit schlechthin, gleichviel ob sie aus einem Nichtwollen oder Nichtkönnen
oder Nichtdürfen hervorgeht: mit untergeschlagenen Armen thront der König, der die
Reichsheerfahrt nicht gebietet, 72 b Nr. 1.

Zuweilen wird nur die eine Hand unter die Achsel gesteckt, während die andere
sich zwar mit jener kreuzt, aber mit einer determinierenden Ausdrucksbewegung beschäftigt
ist, etwa einem Ablehnungsgestus, wenn der Gegenstand des Verweigerns, oder einem Zeige-
gestus, wenn der Grund eines Widerspruches angedeutet werden soll, 69 b Nr. 4, 91 a Nr. 5,
59 a Nr. 5.

Eine Variante, bestehend im bloßen Kreuzen der Hände vor der Brust und mit
dem Sinne des Verweigerns findet sich in 0 38 b Nr. 2. Die entsprechende Figur in
D 20 b Nr. 2 schlägt die Arme unter.

So verständlieh in dem oben beschriebenen Weigerungsgestus die Untätigkeit und
insbesondere der Entschluß zur Untätigkeit sich ausspricht, so wenig hat er mit recht-
lichen Gepflogenheiten zu tun. Es verhält sich in dieser Hinsicht mit ihm genau so wie
mit den Ablehnungsgebärden (Nr. 8, 9). In den abgeleiteten Bedeutungen hätte er ohnehin
keinen Platz im fXechtsleben gefunden. In der Grundbedeutung konkurriert er nach
unsern Künstlern mit dem allgemeinen Ablehnungsgestus, einer Ausdrucksbewegung, die
zwar ebenso deutlich, doch von anderer Herkunft und anderm Aussehen. Eine derartige
'Konkurrenz wäre so wenig dem altdeutschen Geschäftsformalismus angemessen, daß mindestens
Anhaltspunkte in schriftlichen Quellen vorliegen müßten, um sie glaubhaft zu machen.
Und hieran gebricht es eben ganz und gar. Man darf annehmen, daß sämtliche Anwen-
dungen, welche die Ssp.-Illustration von dieser Weigerungsgebärde macht, den Künstlern
von ihrer Phantasie eingegeben wurden. Das Nämliche gilt aus den gleichen Gründen von

15. Dem Unfähigkeitsgestus. Die eine, rechte oder linke, Hand umfaßt die
andere, deren Kücken sich nach außen kehrt, am Gelenk oder auch den Vorderarm unter-
halb des Handgelenkes. Dabei hängen entweder die Hände vor dem Unterleib herab
(Fig. 13a), oder sie werden bis zur Brust (Fig. 13b), einmal (D 72b Nr. 2) über den Kopf
erhohen.3) In ihrer Hauptbedeutung scheint diese Gebärde ein Unvermögen zu bekunden.
z. B. nicht urteilen können, H Taf. XXVI 8 nicht sprechen, nicht festhalten können XXVI10,
XXVH 1, XXXII 10, nicht belehnen können D 72b Nr. 2, niehtwissen, nicht verstehen
H Taf. I 1. Verwandt ist jene Zurückhaltung, wie sie die Ehrfurcht mit sich bringt,
weswegen Sem und Japhet mit demselben Gestus den Segen ihres Vaters Noah empfangen
H 18b Nr. 4 (Taf. XX 10); — verwandt daher auch der Sinn des Nichtdürfens z. B.
nicht teilen dürfen H Taf. XVIII 4; entfernter der des Unterlassens z. B. des Nicht-
wählens Taf. XXIII 7. Von hier aus erst wird auch der Unfähigkeitsgestus brauchbar

l) Eiezu s. Kopp Bilder u, Schriften II 23, Horaejer Anni. zu Lehenr. 76 § 3.
■ . . 2) Die Stellen in Genealogie 338 Note 1. — Zum Folgenden vgl. K. J. Weber in Teut. Denkmäler
Sp. XXXIV, Kopp Bilder u. Schriften I 54, 60, 79 f., J. Grimm Rechtsalterth* I 280, R. Kautzseh
Eirüeit. Erörterungen 35. Sie alle betonen zu einseitig den Sinn des Verweigerns.

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