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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0095
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256

Viel öfter aber begibt sieb, auf den Ssp.-Bildern ein symbolisches Anfassen von
Sachen, wo es sich nur noch um subjektive Übertragung durch die künstlerische Phantasie1)
handeln kann. Am deutlichsten erkennen wir die Übertragung gerade an zwei Stellen,
wo wiederum die offene Tür eines Hauses ergriffen wird. Spricht der Text in II 21 § 5
davon, ein Gebäu auf einem Lehen sei des Vassalien mitsamt dem Gut, so bedarf es für diesen
zum Erwerb des Rechts am Hause keiner eigenen Besitznahme; nichts destoweniger stattet
ihn H 7 a Nr. 5 (Taf. VII 5) mit einem dritten Arm aus, aufdaß er mit zwei Händen sich
dem Herrn kommendieren und mit der dritten die Haustür ergreifen kann.2) Bei dem
Satz ferner von I 38 § 2, daß eines Dienstmannes Eigen nicht aus des Herrn Gewalt in
die des Königs kommen kann, steht in 0 23a Nr. 3 (bei Lübben 24/25) ein Mann (der
Herr?) am Burgtor und hält die Tür am Hinge fest: das Gut des Dienstmannes ist ihm
heimgefallen. Wie der Künstler hier aus der Bedeutung des Besitz erwerhs die des
Rechtserwerbs entwickelt, so auch an vielen andern Stellen, wo er Jemand wachsende
Halme ergreifen läßt. Gewöhnlich tut dies Einer, der sieb als einen Erben vorstellt, so
in D 5a Nr. 2, 3, 8b Nr. 2—5, 27a Nr. 1, 2, 29b Nr. 4, 53a Nr. 5, b Nr. 5, 54a Nr. 3,
64a Nr. 1, 67 b Nr. 1, b Nr. 1, 4, 72a Nr. 1, 73a Nr. 3, 74b Nr. 3, 86b Nr. 4, 89a
Nr. 4, b Nr. 3. Das besagt nicht, wie J. Grimm Mechtsaltertk* I 383 meint, daß der
Erbe die Erbschaft ,antritt', sondern daß er erbt. Denn nach deutschem Recht gibt es
keinen Erbschaftsantritt, sondern — was J. Grimm selbst anerkennt — ,der Todte erbt
den Lebendigen'. Das Anfassen der Halme drückt also lediglich den durch des Erblassers
Tod bewirkten Übergang der Erbschaft auf den Erben aus, am anschaulichsten, wenn der
Erblasser noch daneben hingezeichnet ist. So ergreift auch Einer, der ein Lehen empfängt,
die wachsenden Halme 62 b Nr. 3, 66 b Nr. 1, 74 b Nr. 3, oder Einer, dem ein Gut auf-
gelassen wird 62 b Nr. 2, 67 b Nr. 1, 70 b Nr. 4, eine Frau, die nach dem Tode ihres
Mannes Leibzucht an einem seiner Güter erlangt 51 a Nr. 4, der Schultheiß, der Graf,
der König, denen erbloses Gut anfällt 53 a Nr. 1—3. Bei ihnen allen ereignet sich der
Erwerb eines Besitzrechts, wozu es des Besitzerwerbs nicht bedarf.

Anderwärts3) freilich drückt der Künstler die Besitznahme, das ,Sichunterwinden'
ebenso aus, stets jedoch in Fällen, wo es ohne rechtsförmliches Handeln vor sich geht,
— so vor Allem, wo der Text vom Erwerb einer ,raublichen' Gewere oder überhaupt einem
eigenmächtigen ,Nehmen' spricht 28 a Nr. 5, 60 a Nr. 4, 64 a Nr. 2, 69 a Nr. 3, 83 a Nr. 1, 3,
dann aber auch wo von einer rechtmäßigen Besitzergreifung die Rede ist, wie z. B. von
der des Vassalien 59 a Nr. 4, 76 a Nr. 1, 86 a Nr. 3, oder des Lehenherrn oder seines
Boten 75b Nr. 5, 76a Nr. 5, 79 a Nr. 1, 80a Nr. 5, oder des Oberherrn 62a Nr. 2, oder
^es Versatznehmers 75 a Nr. 2, 83 a Nr. 2. AVeiterhin bezeichnet in 58 b Nr. 4 das Anfassen
von Halmen auch einen Besitzerwerb, der keine Besitznahme ist, sondern ohne Zutun des

1) Nichts Symbolisches liegt darin, wenn in W 34 a Nr. 4 (Ergänzungataf. 1 hinter der Ausg. v. D).
0 50 b Nr. 4 der Bestohlene das gestohlene Roß am Schweif packt, während der Besitzer damit weg-
zureiten trachtet. Das Bild gehört zum ersten Satz von § 2 (nicht § 1, wie Homeyer glaubt) in II 36
und veranschaulicht nur drastisch, wie der Beatohlene den Besitzer, der ihm ,sein Gut wehren will1,
,angreift' und ,handhaft' macht.

2) Ebenfalls umgearbeitet in D 27a Nr. 5 (oben 208 Note 1), 0 46b Nr. 3.

3) Viel zu allgemein Weber Teut, Denkm. Sp. XXV.
 
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