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Ammers-Küller, Jo
Frauenkreuzzug — Bremen, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.42902#0014
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Hofe zu lag. Seit zweiundsechzig Jahren schlief sie dort in
dem großen Bett aus Mahagoni mit den gedrehten Querhöl-
zern und den Vorhängen aus grüner Serge, die es in schweren
kunstvollen Falten überwölbten.
Schon früh am Morgen dieses sonnigen aber auch windigen
sechsten Apriltages des Jahres 1904, als die Dienstmädchen
ihre bemützten Köpfe zusammensteckten und die Ausläufer
der Bäcker und die Fleischerjungen die große Neuigkeit von
Frau Wysmans neunzigstem Geburtstag von der einen Tür zur
anderen brachten, kamen wie auf ein Signal aus allen Boden-
fenstern Fahnenstangen und zerknitterte Fahnentücher zum
Vorschein. Denn keiner wollte sich von dem andern beschä-
men lassen. Der Schlächtermeister, obwohl er die Kund-
schaft nicht mehr hatte, flaggte ebenso wie der Konditor,
der das Kleingebäck lieferte; auch der Zigarrenhändler
wollte sich nicht ausschließen, da der Herr Doktor selig
seinen Pfeifentabak von dem gleichfalls verstorbenen Vater
des Geschäftsmanns zu beziehen pflegte.
Auch in den Häusern der angesehenen Bürger, die in den
Nebenhäusern oder gegenüber oder schräg gegenüber wohn-
ten, beschloß man nach kurzer stockender Überlegung, ob
solches Auftreten in der Öffentlichkeit sich auch zieme, das
Flaggenfest mitzumachen. Museumskonservator Doktor van
Doeveren, irgendwie um die Ecke mit den Wysmans entfernt
verwandt, war der erste, und dann hatte auch Frau van Sta-
veren ihre Flagge, die seit dem letzten Großreinemachen ein-
gekampfert in einem Schranke ruhte, ans Tageslicht geholt.
Freilich sah dieser Schmuck ein wenig dürftig aus, wenn man
ihn mit dem großen frischen Prachtstück des Kurzwaren-
händlers Houtman verglich, der sich allerdings zum Her-
stellungspreis des Materials alle zwei Jahre eine neue Flagge
leisten konnte. Sogar die beiden alten Fräulein Berkhput, die

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