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Ammers-Küller, Jo
Frauenkreuzzug — Bremen, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.42902#0202
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ZWÖLFTES KAPITEL

Durch graue menschenvolle Straßen Londons marschiert
der Umzug der Suffragetten. Musik und Gesang, immer wie-
der neue Hunderte von Füßen, die alle demselben fröhlich
bezwingenden Rhythmus folgen. Bunte Flaggen, Banner im
Hochglanz der Farben, unzählige kleine Fähnchen, die in
emporgehaltenen Händen dreist in der Luft spielen. Purpur,
Weiß und Grün . . . Votes for Women . . . .Votes for Women
.. . . Votes, Votes, Women, Women.
Alte Frauen und junge, arme und reiche, elegante und
schlechtgekleidete. Etwa zehn Equipagen fahren in dem Um-
zug mit, einige Damen lassen stolze Pferde von noch stol-
zeren Livreebedienten lenken, tragen weiße Toiletten nach
der neuesten Mode und große grüne Hüte mit wallenden Fe-
dern; sie halten karminrote Sonnenschirme über ihren herr-
lich frisierten Köpfen. Dicht hinter ihnen zieht ein Zug
Fabrikarbeiterinnen aus einem der ärmsten Bezirke: siegehen
auf Holzschuhen, und über fahlschwarzen Umschlagtüchern
sieht man graublasse Gesichter, in die die Sorgen ihre deut-
liche Schrift eingetragen haben; auf ihren Bannern von ge-
ringem Tuch steht in großen Buchstaben der Betrag ihres
wöchentlichen Hungerlohnes verzeichnet.
Da kommen junge Mädchen, die amazonengleichaufpräch-
tigen Tieren reiten. Beim Publikum haben sie sofortigen Er-
folg — denn nichts spricht zu einem Engländer so deutlich
wie die sportliche Leistung eines gut ausgebildeten Körpers.
Sogleich aber verstummen die freudigen Zurufe und verwan-
deln sich in ärgerliches dumpfes Murmeln, da unmittelbar
auf die Amazonen die Näherinnen aus Whitechapel folgen.
Mit ihren gelblichen Gesichtern und gekrümmten Rücken
schieben sie sich mühsam auf den ausgetretenen Pantoffeln
vorwärts, die ihr einziges Schuhwerk ausmachen: sie kommen
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