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Amsler und Ruthardt (Firma); Anton Schroll und Co. (Wien); Meder, Joseph [Oth.]; Lehrs, Max [Oth.]
Lager-Katalog (Nr. 25): Amslerdruck und Schroll's Albertina-Facsimiledrucke: Kupferstiche, Holzschnitte und Handzeichnungen alter Meister in originalgetreuen Nachbildungen — Berlin: Amsler & Ruthardt, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.74786#0124
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ähnlich; aber in den ersteren herrschen taktische, in den letzteren
farbige Zauber vor. In der Zeichnung hat das Wesen der
Linie allein auszukommen mit dem großen Komplex des Indi^
viduellen und Allgemeinen, Zufälligen und Momentanen, Stoffe
liehen, Farbigen und Räumlichen. Sie hat alle Wesenseinheiten,
Formbestandteile und Formkennzeichen zu vermitteln. Sie kann
die Körper nur umreißen und mit Innenzeichnung versehen.
Das Auslassen wird zur Forderung. In der leichtfließenden
Auswahl des Wesentlichen, das nicht allein den Schein der
Wirklichkeit, sondern auch des Künstlers Erleben enthält, liegt
die freie Abwicklung aller Genialität und der Charakter jeder
künstlerischen Zeichnung.
Die Zeichnung ist nicht bloß die Urform aller Flächenkunst,
sondern auch die lebendige Förderin aller in Erscheinung tretenden
Kunstbewegungen. Sie führt als steter Vorbote die großen Künste
aufgaben ein und verhilft ihnen durch ihr handsames Zutun,
durch ihre Befähigung auszuproben, zur Entwicklung und Reife.
Schon die Entdeckung der einfachen Formsilhouette war eine
rein zeichnerische Tat und ebenso suchte das erwachende Be^
streben, den Kontur plastisch auszugestalten, graphische Wege.
Die vielfach verschlungenen Pfade, die von dem naiven, jugend^
liehen Formsuchen durch willkürliches Ausstricheln mit Feder und
Silberstift bis zu den plastischen Erkenntnissen Masaccios führen,
müssen auf dem weiten Felde der Zeichnung gesucht werden.
Selbst der Pinsel, das ausgesprochene Malerattribut, war der Linie
untertan. Zeichnen und Malen erscheinen durch Jahrhunderte
als ein Begriff. Ägyptische Wandmalereien, byzantinische Tafeln,
romanische Fresken, gotische Glasfenster können ebensogut als
kolorierte Zeichnungen wie als gezeichnete Malereien gelten.
Noch die Freskotechnik eines Ghirlandaio gleicht in allen Details
einer grob geführten Pinselzeichnung.
Die Zeichnung gewinnt die Körpermaße an der Antike und
Natur und lehrt die Anordnung in der Fläche nach Raum,
Zweck und Zeitgeschmack. Sie erkundet die Gesetze vertikalen,
horizontalen und diagonalen Aufbaues. Sie vermittelt die Lehre
der Perspektive und Tiefenwirkung und fördert deren Entwicklung
durch Verwendung architektonischer und landschaftlicher Hintere
gründe. Als an die Stelle der in feierlicher Ruhe posierten
Figuren allmählich die bewegte Handlung trat, war sie es,
welche durch fortgesetzte Übung die vielgestaltigen Beugungen

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