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wohl gelungene Synthese des griechischen, friesmäßigen Kompositionsprinzips und
der römischen Zentralkomposition vor uns.

Die handwerkliche Ausarbeitung ist, wie oft bei Sarkophagen, nicht hochste-
hend, bemerkenswert ist hingegen, mit welch feinen Mitteln die Stimmungen unter-
schieden sind, welche die einzelnen Szenen beherrschen. Das ungeduldige Hervor-
brechen des ersten der Griechen, die Trauer, die den Sterbenden umfängt und sich
im gesenkten Haupt des Schattens und der stillen Haltung Merkurs ausdrückt, zu
der die freudige Bewegung der beiden im gleichen Schritt an die Oberwelt Zurück-
eilenden in lebhaftem Gegensatz steht. Die erste Befangenheit des unverhofften
Wiedersehens der beiden Ehegatten, ihr schon von neuem Trennungsschmerz
umfangenes Beisammensein, schließlich die Mitgefühl, aber doch Entschlossenheit
zeigende Bewegung Merkurs, der den langsam dahinschreitenden Protesilaus dem
letzten Ufer zuführt. Diese ungewöhnliche, von euripideischem Pathos erfüllte
Charakterisierungskunst läßt hinter den Gestalten des Sarkophags einen ursprüng-
lichen Erfindergeist ahnen. Auch hier ist der Anteil des Sarkophagarbeiters an der
Schöpfung der einzelnen Motive wohl geringer als der an der Komposition, in der
wir das römische Element glaubten fassen zu können. Wir stehen in der Zeit des
beginnenden Stilwandels, in dem die italische Komponente der römischen Kunst
wieder zu neuer Geltung kommt.

Die Köpfe der beiden Figuren in der Mitte sind abozziert; sie v/aren zur Aus-
arbeitung als Porträts bestimmt. Gleichwohl bleiben diese Figuren, wie ihre Kleidung
zeigt, innerhalb des mythischen Geschehens. Das römische Ehepaar, das sich in die-
sem mythischen Gewände darstellte, wollte damit zum Audsruck bringen, daß die
Liebe den Tod überwindet. Auch ihnen gilt die Rückkehr des Protesilaus aus der
Unterwelt als allegorischer Beweis für das Weiterleben im Jenseits.

Noch auf einem dritten Sarkophag glauben wir, eine Darstellung des Protesilaus
erkennen zu können, auf dem verschollenen, nur in verschiedenen Zeichnungen
bekannten Sarkophag, der sich früher in den vatikanischen Gärten befand (II 4).
Die linke Szene, in der Merkur einen in seinen Mantel gehüllten Mann vor zwei
klagende Frauen führt, von denen die eine auf einem Sessel sitzt und sich die Haare
rauft, die andere mit in die Hand gestütztem Kinn dahintersteht, wird von Robert199
als Fortführung eines eben Verstorbenen durch den Seelengeleiter Merkur gedeutet.
Merkur drücke ihm die Augen zu, und in der Tat scheinen die Zeichnungen Dal
Pozzos und des Berolinensis Roberts Deutung nahezulegen. Aber ist dieser Gestus
in der Antike an sich schon ungewöhnlich, so ist er bei einem Stehenden vollends
sinnlos. Der Pighianus zeigt die Handbewegung Merkurs ein wenig anders. Der
Seelengeleiter faßt hier den Rand des Mantels und drückt nicht mit dem Daumen
auf das Auge. Die gleiche Bewegung treffen wir beim Herkules auf der rechten
Nebenseite des Florentiner Proserpinasarkophags (I 8). Hier schenkt Herkules
Alkestis das Licht des Tages wieder, indem er ihr den Schleier vom Gesicht weg-
zieht. Bei der Erklärung dieser Sarkophagnebenseite hat Robert200 bereits Zweifel

103 Robert, SR. II (1390) 152.
200 Robert, SR. III 1, 35.
 
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