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folgte. Diese Generation nahm das neue Epos mit frischen Augen auf.
Der Weg, den die späteren Darstellungen der Blendung Polyphems ein-
schlagen sollte, bis zur Vollendung in der Gruppe von Sperlonga, wird
hier vorgezeichnet.

In klassischer Zeit setzen die Polyphem-Darstellungen fast völlig aus.
Einziges Beispiel ist ein unteritalischer Glockenkrater42 des späten fünf-
ten Jahrhunderts, der sich bezeichnenderweise nicht auf das homerische
Epos, sondern auf dessen Umformung im Satyrspiel Kyklops des Euri-
pides bezieht. Erst in hellenistischer Zeit wird das Thema neu belebt.
Das liegt sicher zum Teil daran, daß die klassische Kunst das Mißver-
hältnis der Größe von Riesen im Vergleich zu den Menschen ablehnte.
Am Beispiel des in der spätarchaischen Vasenkunst besonders beliebten
Mythos vom Riesen Alkyoneus, den Herakles besiegt, kann man zei-
gen43, wie die frühklassischen Künstler, um einen Proportionsausgleich
zu schaffen, den Riesen ifiwner kleiner werden lassen, bis der Mythos
seinen Sinn verliert.

Das Aussetzen von Polyphem-Darstellungen in klassischer Zeit hat
aber sicher auch etwas mit der anderen Bewertung der Odysseus-Gestalt
durch die klassischen Dichter von Pindar bis Sophokles und Euripides zu
tun, die in Odysseus weniger den neuen, dynamischen Menschen als
vielmehr den Verschlagenen und Listenreichen sehen, ein Gegenbild
zum heldischen Ideal eines Achill oder Aias. Das ablehnende Verhält-
nis, das die klassische Zeit zu Odysseus einnimmt, hat auch Piaton in sei-
nem Dialog Hippias der Kleinere in differenzierter Weise reflektiert.

Erst in der hellenistischen Kunst gewinnt das Polyphem-Abenteuer
wieder Interesse. Bemerkenswert ist, daß nun bis in die römische Zeit
eine andere Episode als der unmittelbare Vorgang der Blendung, näm-
lich die Weinreichung, das heißt die der Blendung vorausgehende Phase,
als Bildthema beliebter wird. Auf vier oder fünf bekannte Darstellun-
gen44 der Blendung des Riesen, unter denen die von Sperlonga heraus-
ragt, kommen weit über zwanzig Darstellungen der Weinreichung in
Marmor- oder Terrakottaplastiken, Kleinbronzen, Reliefs, in der To-
reutik, auf Tonlampen, Gemmen und in Mosaiken, also ein weites Spek-
trum, das eine neue Bewertung und einen neuen Sinn des Bildthemas
von Odysseus und dem Riesen Polyphem erkennen läßt. Es ging offen-
bar darum, das Planvolle im Vorgehen des Odysseus herauszustellen,
das in einer bildlichen Wiedergabe des Zwiegesprächs über den Namen
»Niemand« besonders anschaulich wird.

Daneben gewinnt noch in klassischer Zeit (möglicherweise unter dem
Einfluß des Stesichoros)45 eine andere Episode der Odyssee für die bil-
denden Künstler ein neues Interesse: das Skylla-Abenteuer.

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