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Andreae, Bernard
Odysseus: Archäologie des europäischen Menschenbildes — Frankfurt a.M., 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.15161#0077
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der einen Pfahl in die Leistenbeuge über das aufgestützte rechte Bein ge-
legt hat und mit beiden Armen fest in dieser steilen Position zu halten
sucht. Von einem zweiten Gefährten ist die linke Hand erhalten, die den
Pfahl weiter oben unterstützt. Zur gleichen Figur wie diese Hand müssen
die in Ausfallstellung stehenden Beine auf runder Plinthe gehören. Der
Mann stützt also den Pfahl in ausschreitender Haltung, um festen Stand
zu haben. Man hat gerätselt, warum die beiden den Pfahl in dieser steilen
Lage halten. Ein erster Vorschlag lautete, daß sie ihn wie auf der Ky-
klops-Vase im Britischen Museum76 von oben ins Auge eines liegenden
Polyphem stoßen, von dem allerdings keine Spur vorhanden war. Als
Gegenvorschlag wurde erwogen, sie hielten den Pfahl in die Flammen,
um ihn glühend zu machen. Doch wäre das sehr unvorsichtig: Die Flam-
men würden nach oben schlagen und die Männer versengen.

Und schließlich gibt es eine viel einfachere Erklärung, die zugleich
das letzte noch übrige Fragment einbezieht, nämlich das bis zum Knie
erhaltene rechte Bein eines Mannes, der die Fußsohle fest aufgesetzt hat.
Der Schenkel aber geht schräg nach oben, so daß der Mann mit gespreiz-
ten Beinen dastehen mußte. Man könnte sagen, der Mann hat festen
Stand gefaßt. Doch um was zu tun? Bedenkt man die Haltung der übri-
gen und zieht auch den Odyssee-Text zu Rate, so gibt es im Grunde nur
eine Handlung, die man hier erwarten muß.

Als Odysseus bei Alkinoos von Polyphem erzählt und wie er den Ret-
tungsplan ausgearbeitet hat, da berichtet er77 auch von dem großen
Knüttel des Kyklopen, der beim Pferch lag, grün von Olivenholz: »Zu
dem trat ich heran und schlug von ihm ein Stück, so groß wie ein Klafter,
ab und legte es den Gefährten hin und befahl ihnen, es abzuschaben, und
die machten es glatt.« Nun sieht man die Handlung plötzlich vor Augen.
Die beiden Gefährten links haben den Pfahl mit dem dünneren Ende auf
den Boden gestellt und der rechte spitzt ihn vornübergebeugt und breit-
beinig dastehend mit Hieben seines Schwertes an. In der Odyssee, in der
die Handlungen im zeitlichen Ablauf aneinandergereiht werden kön-
nen, bleibt Odysseus selbst das Anspitzen vorbehalten. In der plasti-
schen Gruppenkomposition, die auf einen Blick zu überschauen ist, muß
das Anspitzen des Pfahles ein Gefährte übernehmen, während Odysseus
dem Riesen zu trinken bringt. So schließt sich die ganze Gruppen-
komposition um Polyphem als Zentrum zusammen. Links sieht man in
einer Kette von drei Figuren, wie der Riese trunken gemacht wird, rechts
entsprechen dem drei Gefährten, die die Blendungstat vorbereiten.

Was von dieser Komposition noch an größeren und kleineren Frag-
menten vorhanden ist, hat der Verfasser mit Erlaubnis der Direktion des
Ephesos-Museums in Selcuk in Zusammenarbeit mit R. Fleischer durch

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