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Die eine ist die, daß der pfahlanspitzende Gefährte auf der rechten
Seite, nach dem allein erhaltenen Bein zu urteilen, sehr groß gewesen
sein muß. Die andere ist die, daß der dem Pfahlanspitzer auf der anderen
Seite entsprechende Weinschlauchträger, obwohl er erheblich kleiner ist
als alle anderen Figuren, doch mit seinem Kopf noch zu hoch hinaufzu-
ragen schien, als daß er das Giebeldach nicht hätte durchstoßen müssen.
Besonders nachdem ihm auf dem Wege des Ausschlusses ein Kopffrag-
ment zugewiesen worden war, das zwar nicht Bruch auf Bruch angepaßt
werden konnte, weil der Halsansatz bei dieser Figur vollkommen verrie-
ben ist, das aber doch zu dem Körper hätte passen können. Der Kopf
wurde in ergänztem Zustande so hoch, daß man die Figur weiter als es
der Komposition zuträglich war, nach rechts rücken mußte, um sie unter
dem Giebeldach unterzubringen.

Bei einem letzten verzweifelten Versuch, die Giebeltheorie doch
noch zu retten, ergab sich nun, daß das zunächst dieser Figur zugewie-
sene Kopffragment mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ei-
ner anderen Figur zuzuweisen war, deren Kopf nun frei wurde. Und die-
ser Kopf paßte wesentlich besser zum Weinschlauchträger als der vorhe-
rige. Denn er hat eine Eigenart, die man nicht selten bei späthellenisti-
schen Statuen beobachtet. Die Schädelkalotte ist schräg abgearbeitet
und weist eine für den Anschluß bestimmte sogenannte Anathyrose auf.
Das heißt, die Anschlußfläche ist mit einem glatten Rand und einer
leicht mit dem Meißel gespitzten, flachen Vertiefung in der Mitte verse-
hen, die einen dichten Schluß mit der darüber liegenden Steinfläche ge-
währleisten sollte. Wenn man dem Weinschlauchträger diesen hinten
abgeschrägten Kopf aufsetzt, der nach gründlicher Überprüfung in der
Tat der einzige ist, der für ihn in Frage kommt, dann paßt er genau an die
für ihn vorgesehene Stelle in dem Giebel, dessen Schmiege die exakte
und absolut überzeugend wirkende Haltung des Kopfes festlegt.

Das war eine vollkommen unerwartete und nachdrückliche Bestäti-
gung der Giebeltheorie. Denn diese Schräge mußte beim Entwurf der
Gruppe schon miteingeplant worden sein, damit man den am Rande der
Gruppe stehenden Weinschlauchträger nicht noch kleiner machen muß-
te. Handelt es sich doch bei der sorgfältigen Anathyrose der Abschrä-
gung nicht etwa um eine bei der Aufstellung der Figuren im Giebel rasch
ausgeführte Abarbeitung, um Platz zu gewinnen.

War also dies schon ein entscheidendes Argument für die Annahme,
die Figuren seien für einen Giebel bestimmt gewesen, so erwies sich eine
andere Beobachtung, die zunächst auch negativ gedeutet wurde, letzt-
endlich als kaum weniger gewichtig. Während der Weinschlauchträger
trotz der Manipulation mit der abgeschrägten Kalotte außerordentlich

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