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Durchdenkt man den Arbeitsvorgang bei der Aufstellung der Poly-
phem-Gruppe, so erkennt man, daß die Podiumsanlage den Grundriß
der ganzen Gruppe in großen Zügen bewahrt hat und damit eine Bestä-
tigung für die Richtigkeit der plastischen Rekonstruktion im Maßstab
1:1 liefert. Zumindest die Lage des Riesen und die Punkte, an denen die
drei Figuren am Pfahl standen, sind durch den Konglomeratblock mit
den beiden Vierkantlöchern und durch die Blendmauer eindeutig fest-
gelegt. Insbesondere wird die Rekonstruktion der beiden am Pfahlende
gruppierten Gefährten nachdrücklich bestätigt. Die Blendmauer weist
nämlich zwei flache Ausbuchtungen auf, die auch in dem Holzpodest der
rekonstruierten Gruppe exakt nachgebildet wurden und die den beiden
hier stehenden Figuren Raum geben sollen. Man konnte daher, von der
Höhe der Terrasse aus, auch die Figuren auf der zum Grotteninneren
gewandten Rückseite der Gruppe ungehindert betrachten.

Hier zeigt sich schon, daß die Künstler, welche die Marmorgruppe in
der südöstlichen Nebengrotte der Tiberius-Höhle von Sperlonga aufge-
stellt haben, eine bestimmte Regieabsicht verfolgten. Die Gruppe bietet
nämlich nicht nur von der Mittelachse ihrer Breitenentwicklung aus ein
eindrucksvolles Bild, sondern man kann und soll sie von allen Seiten um-
schreiten und betrachten, um sie in ihrem unerschöpflichen Reichtum an
Bewegungen und Blickpunkten zu betrachten und zu erleben. Diese Er-
kenntnis war die größte Überraschung der langjährigen Bemühungen
um die Rekonstruktion der Gruppe, und ohne den Versuch einer wie
auch immer problematischen Wiederherstellung derselben wäre es zu
dieser entscheidenden Erkenntnis möglicherweise nicht gekommen162.

Leider läßt sich diese Erkenntnis an Fotografien, auch wenn sie unter
den großzügigen Aufstellungsbedingungen in den Kunstsammlungen
der Ruhr-Universität Bochum gemacht wurden, nur schwer nachvoll-
ziehen. Man kann sie im Grunde nur vor der plastischen Gruppe selbst
erfahren. Denn diese Gruppe ist so groß, daß sie aus dem Abstand, aus
dem man sie in der Tiberius-Höhle sehen konnte, von einem einäugigen
Objektiv nicht richtig erfaßt werden kann. Nur die beweglichen mensch-
lichen Augen können sie umgreifen. Will man die Gruppe aus dem in der
Grotte am Rande des runden Beckens eben noch möglichen Abstand
von 6 m als ganze fotografisch aufnehmen, dann muß man sich eines
Weitwinkelobjektives bedienen, das die plastischen Werte verzerrt.
Wählt man hingegen einen Abstand, aus dem die Gruppe mit einem
Normalobjektiv vollständig auf den Film gebannt werden kann, dann
steht man theoretisch schon im Wasser, und die Perspektive verändert
sich so, daß die vorderen Glieder der Figuren in der Gruppe sich vor die
hinteren schieben und dadurch der Eindruck empfindlich gestört wird.

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