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PLINIUS UND DER LAOKOON

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gen 180 v. Chr. als Denkmal für die Seeräuber-
kriege in Rhodos aufgestellt und 515 n. Chr.
Kaiser Anastasius L zum Dank für Erdbeben-
hilfe geschenkt, der sie nach Konstantinopel
bringen ließ. Die Kopie von Sperlonga wurde
auf Bestellung des Kaisers Tiberius zwischen
4 und 26 n. Chr. angefertigt.

5. Aus dem Kopistenatelier der drei rhodischen
Künstler stammen auch die drei anderen in wei-
teren kaiserzeitlichen Marmor-Repliken überlie-
ferten Gruppen der „Odyssee in Marmor von
Sperlonga"; die Polyphem-Gruppe21 mit einer
Replik in der Villa Hadriana und einer Relief-
wiederholung in Catania, die Palladion-Raub-
Gruppe22 mit Repliken im Thermenmuseum
und im Palazzo Mattei sowie einer Reliefwieder-
holung in Athen und die Pasquino-Gruppe23
mit 10 weiteren Repliken an ganz verschiedenen
Orten. Da alle diese Repliken die respektiven
Originale exakter wiedergeben als die zeitlich
früheren Skulpuren in Sperlonga, können diese
nicht das Original darstellen, sondern sind selbst
Kopien der hellenistischen Originale24. Diese
waren aus Bronze, da die Kopien durch ein
kompliziertes Netz von Marmorstützen gesi-
chert werden mußten25.

6. Bestätigt wird die Rückführung der gro-
ßen Gruppenkompositionen auf hellenistische
Bronzeoriginale durch den Befund der ins Jahr
45 n. Chr. datierten Polyphem-Gruppe aus Mar-
mor in Baiae, von der es ein Zitat des Bronze-
originals im Mosaik des Goldenen Hauses und
eine Reliefwiederholung in Paris gibt26.

7. Die merkwürdige Stützenform des Mantels
beim älteren Sohn des Laokoon im Vatikan27
macht es wahrscheinlich, daß auch die Laokoon-
Gruppe von den Kopisten der „Odyssee in Mar-
mor von Sperlonga" nach einem hellenistischen
Bronzeoriginal kopiert worden ist. Die „Odys-
see in Marmor" von Sperlonga wurde, wie ge-
sagt, im Auftrag des Tiberius zwischen 4 und 26
n. Chr. kopiert, der Laokoon hingegen im Auf-
trag des Consilium — de consilii sententia —.
Wahrscheinlich handelt es sich um das Consi-
lium Prtnapis2S, das mit der Kopie des Laokoon
an die von Vergil herausgestellte Deutung des
Laokoontodes als Zeichen zur Rettung des
Aeneas, also an die Gründung der Julischen
Familie erinnern wollte29, während Tiberius
mit Odysseus an den Vater des Gründers von
Tusculum, Telegonos, und damit möglicher-

weise an den Heros Ktistes der Claudischen
Familie dachte30.

8. Eine Bestätigung der Frühdatierung der Schöp-
fung der Laokoon-Gruppe bietet eine spätestens
um 130 v. Chr. entstandene etruskische Gem-
me, welche die in der vatikanischen Gruppe
überlieferte Komposition voraussetzt31.

9. Untersuchungen32 zur hellenistischen Ge-
schichte im Zeitalter der Auseinandersetzung
Roms mit dem griechischen Osten zwischen der
Schlacht von Kynoskephalai 197 v. Chr. und
dem Testament Attalos EL, der Pergamon im
Jahre 133 v. Chr. den Römern vermachte, lassen
es unter besonderer Berücksichtigung der
Mythologeme in der Alexandra des Lykophron
möglich erscheinen, daß die Laokoon-Gruppe
im Auftrag der Könige von Pergamon gegen 140
v. Chr. geschaffen wurde und als Semeion tes
Iliou haloseos ein Mahnmal gegen den Krieg sein
sollte.

Versucht man diese neueren Erkenntnisse über
die Laokoon-Gruppe mit dem Text des Plinius, wie
er bisher verstanden wurde, zur Deckung zu brin-
gen, so werden die Widersprüche, die im Text
selbst enthalten zu sein scheinen, noch um weitere
vollends unlösbar vermehrt. Kann Plinius eine kai-
serzeitliche Marmorkopie eines Bronzeoriginals,
das aus der von ihm grundsätzlich geringer bewer-
teten hellenistischen Kunstepoche stammt, allen
Werken der Malerei und Plastik vorgezogen
haben?

Plinius kannte durchaus den Unterschied von
Original und Kopie. Er berichtet (NH 35,125), Lu-
cius Lucullus habe in Athen von dem berühmten
Bild der Kranzflechterin Glykera des Pausias eine
Kopie — exemplar —, die man griechisch apogra-
phon nenne, für den Preis von zwei Talenten ge-
kauft. Pausias war einer der berühmtesten Maler
des Altertums, und für Meisterwerke dieser
Höhenlage wurden bis zu 100 Talente gezahlt33.

Nun ist die Laokoon-Gruppe auch nach der Er-
kenntnis, daß es sich um eine Umsetzung aus
Bronze in Marmor handelt, nicht als apographon
anzusehen. Als solche könnte man höchstens einen
Nachguß in Bronze bezeichnen. Die Nachbildung
eines Bronzewerkes in Marmor ist demgegenüber
eine eigenständige Leistung. Gleichwohl ist es im
höchsten Maße unwahrscheinlich, daß Plinius die
Umsetzung einer Bronzegruppe in Marmor allen
Werken der Malerei und Plastik vorgezogen hätte.
 
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