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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0022

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Plastiken muss nach bewährter kunstgeschichtlicher Methode mit ei-
ner eingehenden Beschreibung beginnen. Der Versuch, Kunstwerke
zu beschreiben, möglichst treffende Worte nicht nur für ihren Inhalt,
sondern auch für ihre Form, ihren Stil zu finden, die dem Betrachter
eine Skulptur erschliessen können, sollte besonders bei einem rund-
plastischen Werk vor diesem selbst unternommen werden. In der Tat
hat der Autor dieses Buches alle darin beschriebenen plastischen
Kunstwerke an ihren jeweiligen Aufbewahrungsorten aufsuchen
können und die erste Beschreibung an Ort und Stelle ausgeführt.

Über Kunstwerke sollte man - mit Goethe - nicht sprechen ausser
in ihrer Gegenwart. Es gibt in jedem Kunstwerk etwas Unerforsch-
liches, das sich nur durch Anschauung mitteilt. Von Goethe stammt
auch die Maxime: "Denken ist interessanter als Wissen, aber nicht
als Anschauen". Die Worte einer Beschreibung sind nicht selbstän-
dig, sondern sie gewinnen ihren Sinn nur bei der gleichzeitigen Be-
trachtung des Beschriebenen. Voraussetzung dafür ist, dass Bilder
und Text möglichst in Seitenpräsenz angeordnet sind. Dies wurde
im vorliegenden Buch durch eine enge Zusammenarbeit von Autor
und Setzer beim Aufbau der Seiten zu verwirklichen versucht.

Der Gedankengang des Buches ist nicht vom Autor, sondern vom
Zufall der Überlieferung bestimmt. Man sollte deshalb nicht eine
gleichmässige Reihe überragender Kunstwerke erwarten, sondern
man muss sich auf den Weg der Erforschung des von der Geschichte
nicht einfach Geretteten, sondern darüber hinaus mit einer bestimm-
ten Erinnerung Ausgestatteten begeben. Dabei mangelt es durchaus
nicht an grossartigen Werken, und auch auf den ersten Blick weniger
eindrucksvolle Werke erweisen sich, wenn man sich auf ihre genaue
Betrachtung einlässt, als sehr aussagekräftig. In Kopien überlieferte
Philosophenstatuen mögen nicht so packend sein wie der im Original
erhaltene Gigantenfries des Pergamonaltars, doch die Auswahl, die
die Geschichte selbst getroffen hat, ist als solche beachtlich.

Ein Gedanke Lessings angesichts der Laokoongruppe, der aber
auch auf die Gruppe des Palladionraubs zutrifft, ist hilfreich bei der
Betrachtung hellenistischer Plastik. Der Dichter macht deutlich,
dass im Gegensatz zu ihm der bildende Künstler in einem plasti-
schen Werk nur einen einzigen Augenblick darstellen kann und
dass dieser Augenblick deshalb nicht fruchtbar genug gewählt wer-
den kann. "Dasjenige aber nur allein ist fruchtbar, was der Einbil-
dungskraft freies Spiel lässt. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen
wir hinzudenken können. Je mehr wir dazudenken, desto mehr
müssen wir zu sehen glauben." Die Definition des "fruchtbaren Au-
genblicks" gibt dem Betrachter hellenistischer Plastik einen wichti-
gen Begriff an die Hand. Auch Lessings Einsicht, dass Kunstwerke
"lange und Wiederholtermassen" zu betrachten seien, ist beherzi-
genswert. Der Leser reiht sich als überlebender Betrachter in die
Dreiecksbeziehung ein, die in diesem Buch untersucht wird, und er
gewinnt dabei durch Vergleichung Kriterien, die ihm einen neuen
Zugang auch zu altbekannten Werken eröffnen können.
 
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