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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0026

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Begriffe: Realismus, Schönheit, Grösse

dieser vorbildlichen Schönheit und Grösse eröffnete gleichwohl
eine stärkere Sicherheit der Gestaltung im einzelnen Kunstwerk.
Dabei kann man nicht genug betonen, dass es nicht die Schönheit
allein war, welche die Kunst anstreben sollte, sondern nicht weniger
die Grösse und Erhabenheit, die auch erfahrbar werden, wo pure
Schönheit versagt ist.

Ein von der antiken Kunstgeschichtsschreibung mitgeteilter Vor-
gang ist symptomatisch für den bewussten Rückgriff auf die Natur
als Vorbild der Kunst. Lysistratos von Sikyon, der Bruder des schon
erwähnten überragenden Bildhauers Lysipp, der an der Schwelle
der Spätklassik zum Hellenismus stand, soll nach Plinius (nat. 35,
153) als erster Gipsabgüsse von den Gesichtern lebender Personen
genommen haben, um deren wahrheitsgetreue Bildnisse zu gewin-
nen.

Lysipp, der grösste Menschenbildner seiner Zeit, hat demgegen-
über das Bildnis Alexanders des Grossen, das in römischen Kopien
überliefert ist, noch idealisiert. Am Vergleich des Ansatzes der bei-
den Brüder wird klar, dass es sich bei den mechanisch gewonnenen
Bildnissen nicht um Kunst, sondern um Technik handelt. Von der
Erfahrung, die man bei der Umsetzung des Antlitzes eines vergäng-
lichen, sich ständig verändernden Lebewesens in eine dauerhafte
und unverkennbare Gipsmaske gewonnen hatte, die man mit
Wachs ausformte, konnte oder wollte man jedoch nicht mehr abse-
hen. Das bei einer Persönlichkeit, die man wiedererkennen sollte,
ohne weiteres verständliche Prinzip der Wahrheitstreue galt, wie
die Kunstgeschichte des Hellenismus zeigt, nun bei allen Themen,
um die sich die bildende Kunst dieser Epoche bemühte.

Schon seit dem sogenannten Strengen Stil, wie man die Frühpha-
se der klassischen Kunst zwischen den Perserkriegen und der peri-
kleischen Zeit bezeichnet, hatte man bei Bildnissen häufig Por-
de^Lysipp" trätähnlichkeit angestrebt, aber alle daraus abzuleitenden Tenden-

München zen zum Realismus in der Kunst wurden durch das klassische, an

Glyptothek. der Gesetzmässigkeit ausgerichtete Kunstwollen unterdrückt. Das

Um 330 v. Chr. war jetzt nicht mehr möglich. Zum ersten Mal in der Geschichte der

Kunst wurde der Realismus ihr unabdingbarer Gegenstand.

Andererseits war aber die Ästhetik des Schönen so untrennbar
mit dem Begriff der Kunst verbunden, dass die Verewigungen des
Realistischen durch die Künstler nur mit Hilfe des Prinzips Schön-
heit und das heisst einer bestimmten Übereinkunft, wenn schon
nicht mehr Gesetzmässigkeit, erfolgen konnte. Eine vom sich auf-
bäumenden Stier zu einem blutigen Fleischklumpen zertretene Dir-
ke war kein Thema der Kunst, sondern eine dieser unabwendbaren
Gefahr ausgelieferte schöne und üppige Frau.

Die Schönheit dieses ersten Realismus in der Geschichte der
Kunst ist deshalb das Thema dieser Schrift, in der Werke hellenisti-
scher Plastik jedoch nicht um ihrer Schönheit, die für sie als konsti-

Alexander d. Cr.

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