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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0058

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POLYEUKTOS: DAS STANDBILD DES DEMOSTHENES

Ein Porträt dieser Zeit, das man nicht mit Schweigen übergehen
möchte, wenn man von der Bildnisstatue des Demosthenes handelt,
ist die schon erwähnte Porträtbüste des Olympiodor. Man kennt sie
von einer einzigen, nicht sehr qualitätvollen Kopie aus Caesarea
Marittima in Oslo. Die nicht überlieferte Statue Olympiodors war
vielleicht - als Kunstwerk - nicht weniger bedeutend als die des De-
mosthenes. Doch dessen Reden erschienen den Nachfahren interes-
santer als die zu ihrer Zeit erfolgreichen politischen Taten des Olym-
piodor. Von Demosthenes blieben über fünfzig Nachbildung in ver-
schiedenen Materialien erhalten, von Olympiodoros nur der er-
wähnte Hermenkopf. Man kann diese Bildnisschöpfung und das
gleichzeitige Bildnis des Demosthenes auf den Gegensatz zwischen
Rhome und Gliome, Macht und Geist bringen, der auch in dem Ge-
gensatz zwischen Kopf und Händen der Demosthenesstatue auf-
Olympiodoros leuchtet.

Oslo, Nasional- Diese moralischen Eigenschaften in der Physiognomie und Ge-

Galkrict. bärdensprache, die Korrespondenz von Gesichtsausdruck und Be-

Um 280 v. Chr. wegung der Hände, anschaulich machen zu können ist eine der

grossen Errungenschaften frühhellenistischer Plastik. Sie wurde
wegweisend für viele Bildnisschöpfungen, die noch zu Lebzeiten,
bald nach dem Tode oder auch lange Zeit nach dem Tode berühm-
ter Menschen geschaffen werden sollten. Besonders die letzteren,
die "erfundenen" Gesichter sind als autonome Kunstwerke von
grosser Aussagekraft für die Geschichte einer Kunstepoche, die sich
die Erforschung der Physiognomik zur Aufgabe gemacht hatte.
Auch dort ist, wo die Überlieferung es erlaubt, besonderes Augen-
merk auf die Gebärdensprache der Hände zu richten.

11. Die Dionysosstatue des Thrasykles

Viele antike Plastiken sind allerdings nur fragmentarisch überliefert,
und besonders häufig sind bei den Zerstörungen in Spätantike und
Mittelalter nur die Torsen, das heisst der Rumpf der Skulpturen ohne
Kopf und Gliedmassen, mindestens ohne Arme, erhalten geblieben.
Die neuere Kunst erkannte die eigentümliche Aussagekraft, die auch
noch der Torso eines Kunstwerkes hat, und sie machte, nicht zuletzt
unter dem Einfluss des von Michelangelo so hochgeschätzten "Torso
vom Belvedere" das unvollständige Kunstwerk, den Torso, zu einer
legitimen Darstellungsform. Das gab es im Altertum nicht. Nach der
Definition von Aristoteles war nur das Vollständige schön. Diese De-
finition wirkte noch in der Neuzeit nach, als man sich seit der Re-
naissance bemühte, die verstümmelten antiken Werke wiederherzu-
stellen und zu vervollständigen. Der "Torso vom Belvedere" ist hier
eine Ausnahme, weil Michelangelo sich ausserstande erklärt hatte,

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