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Andreae, Bernard
Schönheit des Realismus: Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik — Mainz, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.14992#0237

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Die späthellenistische Epoche

lenistischen Griechenland traten immer mehr Privatleute an die
Stelle staatlicher Auftraggeber. Dementsprechend wandelte sich der
Stil. Die hellenistischen Skulpturen von Delos, die durchweg vor
den Zerstörungen der Insel in den Mithridatischen Kriegen 79 und
ein weiteres Mal 69 v. Chr. entstanden sein müssen, zeigen eine fort-
schreitend nachlässigere Ausarbeitung, kleinere Formate und einen
sich spürbar verhärtenden Bildhauerstil, der den unaufhaltsamen
Niedergang der Kunst andeutet.

Als Kleopatra die Statuen ihres Mannes und ihrer selbst in Auf- fc / <

trag gab, hatte Delos seit einer Generation einen ungeahnten Auf-
schwung genommen, nachdem die Römer die Insel, um die rhodi-
sche Konkurrenz auszuschalten, im Jahre 166 v. Chr. zum Freiha-
fen erklärt hatten. Nach der Zerstörung von Korinth 146 v. Chr.
war Delos der wichtigste Umschlaghafen im östlichen Mittelmeer.
Aus der Zeit dieses Booms stammen die Statuen des Ehepaares,
die verglichen mit einer zehn Jahre später, im Jahr 128/127 v. Chr.
entstandenen weiblichen Gewandstatue der Isis aus dem Heilig-
tum dieser Göttin auf der Insel eine deutlich höhere Qualität zei-
gen. Bei der Kleopatra drücken sich die Steilfalten des Unterge-
wandes noch durch den dünnen Stoff des eng um den Oberkörper
geschlungenen Mantels durch, bei der Isis findet man eine so stoff-
liche Behandlung der Marmoroberfläche nicht mehr. Der privat-
religiöse Anlass der Statuenstiftung in Delos, wo die politischen
Sphären sich überschnitten, lässt die Bilder von Kleopatra und
Dioskurides als Musterbeispiele späthellenistischer Plastik in Grie-
chenland erscheinen.

Es wurde schon gesagt, dass die wichtigeren Auftraggeber jetzt in
Rom sitzen. Das lässt sich unter anderem sehr eindrucksvoll durch
das kolossale Götterbild der Fortuna huiusce diei belegen, das im
Tempel (B) dieser typisch römischen Göttin am Largo di Torre Ar-
gentina in Rom gefunden wurde und in den komunalen Sammlun-
gen des Konservatorenpalastes aufbewahrt wird. Seit 1997 sind sie
fürs erste in der Elektrozentrale Montemartini an der Via Ostiense
in Rom ausgestellt. Gestiftet wurde das akrolithe Standbild, von
dem der 1,46 m hohe Kopf und Teile der Gliedmassen aus Marmor
erhalten sind, durch den Konsularen Quintus Lutatius Catulus für
seinen Sieg über die Kimbern bei Verccllae im Jahre 101 v. Chr. Das
Werk trumpft mit seiner Grösse auf, die aber über eine gewisse in-
nere Leere nicht hinwegtäuschen kann. Es ist in einem seit über
hundert Jahren, nämlich seit den Leistungen des Nikeratos und des
Damophon aus dem späten dritten Jahrhundert v. Chr. tradierten,
aber an der Oberfläche erstarrten Stil gearbeitet.

Darüber können auch Hebungen und Senkungen des Reliefs nicht
hinwegtäuschen, unter denen besonders aufschlussreich das Grüb-
chen im Kinn der Göttin ist, das sofort das Familienmerkmal der At-
taliden in Erinnerung ruft. Nikeratos hatte es zu Beginn des zweiten

Isis in Delos
127 v. Chr.

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