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Archäologisch-epigraphische Mitteilungen aus Österreich-Ungarn — 4.1880

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Benndorf, Otto: Zur Venus von Milo
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https://doi.org/10.11588/diglit.9394#0076

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Portrait von Holbein zu demjenigen eines späteren grossen Coloristen
steht. An der Venus von Tralles ist Alles wie gezeichnet in feinst-
empfundener zartester Schärfe, an der Venus von Milo Alles weiche
malerische Erscheinung in voller fliessender Breite der Formen, Dort
ist die Modellirung auch der untergeordneten Details, der leisesten
Uebergänge präcis, überall gewissenhaft bedacht auf eine knappe
genaue Haltung; hier leben sich die Formen aus in lockerem losem
Wachsthum, in ihren Begrenzungen ist jede Schärfe vermieden, jede
Bestimmtheit verschmolzen. Dort tritt die Schönheit der plastischen
Form strenger, gewollter, wenn man will schematischer hervor; hier
hat man aller Hoheit unbeschadet den Eindruck von Fleisch, von
einem mit sinnlicher Gewalt ausströmenden Leben, und dieser Ein-
druck ist gehoben und verstärkt durch eine Steigerung der soge-
nannten Unregelmässigkeiten der Gesichtsbildung, aus denen die An-
muth plastischer Ideale überhaupt mit ihrem geheimsten Zauber
bestrickt, namentlich in den Partien von Mund und Wangen. Man
begreift durch diesen Gegensatz das unmittelbare Wohlgefallen besser,
welches der Venus von Milo allgemein aus allen Richtungen des
modernen Geschmackes entgegengebracht worden ist und unge-
schmälert erhalten bleiben wird, und wird doch nicht umhin können
anzuerkennen, dass ihr gewisse Vorzüge fehlen, welche an ihrem
Gegenbilde einen wohl bescheidener aber darum nicht minder sicher
wirkenden, eigenthümlich gewinnenden Reiz bilden. Besonders lehr-
reich war mir in dieser Hinsicht ein aus eingehenden Vergleichen
gewonnenes Urtheil von Zumbusch und Kundmann, welche beide
übereinstimmend die Arbeit der Venus von Tralles in manchen Theilen
sorgfältiger durchgebildet fanden, und unter Anderem hervorhoben,
dass die Haltung des Kopfes beweglicher, weiblich feiner sei und
dass insbesondere der Hals namentlich im Ansätze von der Seite
der linken Schulter her und in der überaus schönen Partie unter dem
rechten Ohre in den Uebergängen nach der Backe eine höhere Vol-
lendung zeige.

Eher zu entscheiden als die Schönheitsfrage, in der natur-
gemäss und mit aller Berechtigung die Sympathien sich theilen, und
zugleich wichtiger an sich ist das historische Problem, welches die
Vergleichung der beiden Köpfe hinstellt. Mehr als zwei Möglich-
keiten: dass der kleinere Kopf eine freie Nachbildung des grösseren
sei oder dass beide unabhängig von einander und vielleicht sogar durch
zwischenliegende Mittelglieder bedingt, auf ein gemeinsames Original
zurückgehen, wird Niemand an und für sich erwägenswerth finden,
und eine Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten kann7 so wie
 
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