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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 2
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Delius, Hellmut: Vitruv und der deutsche Klassizismus: C. F. Schinkel und F. Weinbrenner
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0076
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schaft Schinkel-Vitruv den antiken Grundriß des
Schlößchens Charlottenhof — gemeint ist an-
scheinend das sogenannte Landhaus — mit den
Worten an: „Die Beschreibung eines römischen
Hauses bei Vitruv kann fast auf diesen Grundriß
passen."

Vitruv gibt eine sehr eingehende Schilderung
des antiken Wohnhauses. Seine Ausführungen
über den Bau von Privathäusern füllen ein gan-
zes Buch, das VI. von seinen 10 Büchern. Ein
ganzes Kapitel nehmen dabei die griechischen
Wohnhäuser ein.

Das Verständnis für das Vitruvkapitel über das
römische und griechische Wohnwesen geht uns
sofort auf, wenn wir uns in den Vorstellungs-
kreis einleben, aus dem heraus der römische
Architekt seine Darstellung der verschiedenarti-
gen Wohntypen entworfen hat. Diese Vorstel-
lung ist durchaus räumlich; sie umfaßt nichts
als Räume. Die bekannten Schilderungen, die
der jüngere Plinius von seinen Villen gibt, zei-
gen mit aller Lebendigkeit die gleiche Anschau-
ung. Beschrieben werden immer nur Räume
oder Raumgruppen, um Atrien oder kleine
Gartenhöfe herumgebaut. Für die Räume ist der
eigentlich maßgebende Gesichtspunkt immer
ihre Richtung zu Wind und Sonne und ihr Zu-
sammenhang mit der umgebenden Natur. Eine
Verbindung dieser Einzelgedanken zu einem in
sich architektonisch geschlossenen Ganzen ge-
schieht dabei überhaupt nicht; sie kann auch
bei den Anforderungen, die Vitruv an den
Einzelraum stellt, nicht recht vonstatten gehen.
Das Eigenleben der Teile ist zu groß, um sich in
einer körperlich zusammengefaßten Einheit aus-
sprechen zu können. Die einzige Verbindung
dieser räumlichen Vielheiten sind die Säulen-
hallen, die „porticus", die denn auch die Er-
scheinung nach außen bestimmen. Aber auch sie
schmiegen sich ebenfalls wieder dem Raum-
gedanken an, denn sie sind durchaus ein begren-
zender Teil des Gartenraumes, der sich, durch
geschnittene Buchsbaumhecken architektonisch
gegliedert, anschloß und den Übergang zur Land-
schaft abstufte: vom geschlossenen Innenraum
zum offenen Garten und durch diesen zur offe-
nen Landschaft, so an allen Seiten. -—■ Vgl.
Tafel 13, oben.

Die Schilderungen des Plinius sind darin un-
gemein anschaulich. Wenn sich diese Säulen-
hallen auch gliedern, Flügel und Mittelpartien
bilden, ihre Gliederung gehört dem Gartenraum

an. Die Wohnräume liegen hinter ihnen, aber
kommen nicht zur äußeren Erscheinung. Von
einem Zusammenfassen der Räume zu einer be-
stimmten äußeren Hausform ist nirgends die
Rede, auch der leiseste Gedanke einer Haus-
fassade fehlt. Ein Bedürfnis nach einem reprä-
sentativen Ausdruck der zum Teil großartig ge-
dachten Wohnanlagen ist überhaupt nicht vor-
handen. Wenn ein Haus die Großartigkeit seiner
inneren Räume nach außen verraten soll, so wird
ein entsprechendes vestibulum gefordert.
Überall, wo wir bei der Antike eine Steigerung
des formalen Ausdrucks finden, dient sie beson-
deren Zwecken und ist nicht der Gebäudegestal-
tung dienstbar. Wo wir bei der Antike auf den
Begriff der Fassade zu stoßen glauben, handelt
es sich in Wirklichkeit um einen Prospekt (vgl.
scaenae frons, die Front des dem Zuschauer zu-
gewandten Bühnenhauses; Triumphbögen; Sep-
tizonium des Septimius Severus zu Rom usw.).
Eine ungemein gesunde Baugesinnung!

Aber der Renaissance wurden gerade diese Pro-
spekte vielfach zum Muster, um dem Bedürfnis
nach repräsentativer Steigerung ihrer Fassaden
zu genügen. Sie benutzt die formalen Einzel-
heiten für ihr Bedürfnis nach Fassade. Daneben
erstrebte sie die Zusammenfassung der Einzel-
teile. Ihre Villenanlagen — und ebenso die des
Barock -—- geben deshalb trotz aller architek-
tonischen Reize kein Bild der Antike; sie haben
Züge, die der Antike fremd sind. Vgl. z. B. Pal-
ladios Entwurf für die Villa Trissini in Meledo,
von der Ansicht, Schnitt und Grundriß auf
Tafel 14 wiedergegeben sind1). Die Villen der
Renaissance haben den antiken Villen gegenüber
immer etwas Pose und kokettieren mit der Um-
gebung, während die antiken Vorbilder sich vor-
aussetzungslos mit der Natur verbinden; sie
wenden ihr keine Fassade zu. Die Fassade ist
auch hier der Antike fremd, sie ist unbedingt
und absolut ehrlich.

Der Hellenismus dagegen ist in dieser Auffas-
sung der Renaissance grundsätzlich gefolgt. Auch
Schinkel hat in diesem Punkte die Antike zu
sehr mit den Augen der Renaissance und des
Barock gesehen. Wir brauchen uns zum Beweise
für diese Zeitauffassung nur den Entwurf de Sa-
luccis für das Schloß Hohenstein (Tafel 13,
unten) und den Entwurf Schinkels für das Land-
haus zum Schloß Charlottenhof anzusehen, die

') Nach Scamozzi, Le fabbriche e i disegni di Andrea
Palladio, t. III, Vicenza 1796, Tafeln 4 und 5,

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