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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 4
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Nonn, Konrad: Kunst und Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0145

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Nachbildung von Halluzinationen zurückzufüh-
ren und nur in ganz wenigen Fällen wurde es in
überzeugender Weise deutlich, daß die Kran-
ken aus ihrer weitab gewandten, durch ihren Zu-
stand erzwungenen, geistigen Einsamkeit heraus
Werke schufen, die eindrucksmäßig den Werken
echter Kunst beizugesellen sind. Sie rührten aber
von Kranken her, die in gesunden Zeiten eine
Berührung mit bildnerischem Schaffen hatten
(z. B. Fall Pohl, Kunstgewerbler).

Freilich bleibt der Gegenstand dieser Bilder
dem Gesunden innerlich dennoch völlig fern.
Er kann ihn zwar gedanklich häufig noch er-
fassen, aber er erregt Grauen und Entsetzen.
Dieser ergreifende Zug echter Irrenkunst ent-
steht sicher dadurch, daß echte, innere Erleb-
nisse nur noch diesen einen Weg über künstle-
risch geformte Symbole hinweg in die Außen-
welt finden konnten. Solche Bildwerke entstan-
den aber nur im sogenannten schizophrenen
Endzustande, d. h. wenn der Kranke völlig un-
fähig geworden war, sich in normaler Art mit
der Umwelt zu verständigen. Bezeichnenderweise
jedoch mangelt dieser ergreifende und den Be-
schauer mitreißende Zug grade am meisten den
durch das Schrifttum angepriesenen expressio-
nistischen Werken. Vielleicht will die Mehrzahl
der Beschauer es nicht verstehen, daß tatsäch-
lich — wie es Prinzhorn erläutert ■—- das so-
genannte schizophrene Weltgefühl der Irren
eine sehr weite Verbreitung — in milderen For-
men —• auch im täglichen Leben hat; damit
würde aber der gesunde Instinkt des Volkes be-
wiesen sein, der sich unwillkürlich vom Krank-
haften abwendet. Vielleicht aber ist es auch nur
die im stillen empfundene, gemachte Manieriert-
heit, welche kein warmes Verhältnis der Be-
schauer zu solchen Werken aufkommen läßt.
Wir finden daher, daß dieser mangelnde Kon-
takt zwischen Kunstwerk und Beschauer durch
eine hitzige, dogmatisch strenge, ja fast fana-
tische Fürsprache und Propaganda ersetzt wird,
die namentlich zur Verteidigung entsprechender
Museumsankäufe in Szene gesetzt wurde, wenn
das Publikum für sein Steuergeld auch popu-
läre Genuß- und Erbauungsmöglichkeiten haben
wollte. Sobald die Allgemeinheit nämlich sol-
chen doktrinären Kunstrichtungen zu wider-
streben wagte, war das Publikum plötzlich für
Kunstdinge nicht mehr zuständig; der allmäch-
tige jüdische Zeitungsterror tat das seinige zur
Verschleierung des wahren Sachverhaltes und

stempelte das „Verständnis" für die literarisch
geförderte Kunst zu einer Sache exklusiven
geistigen Führertums einer leider nur allzu klei-
nen Schicht Auserwählter. Damit waren dann
die Käufer dieser Werke wiederum sehr zufrie-
den, und die Sache war in allerbester Ordnung.
Primitivelei und geistige Trägheit hatten den
Wirtschaftskampf gewonnen.

Daß neben dieser Kunst und Kunstwissenschaft,
welche die Berührung mit dem Marktschreier-
tum nicht scheuten, ernste Bestrebungen einher-
liefen, ist für Deutschland selbstverständlich.
Wir finden, daß sowohl die Archäologie und
ihre Schwestern, sowie die Psychologie mit ihren
ernsten Bemühungen um die Erkenntnisse der
Formprobleme hinter diesem lauten Treiben

— wenn auch in sehr zurückgedrängter Weise

— ihre Arbeit weiter verrichteten. Ebenso gab
es und gibt es Märtyrer einer echten Kunst, die
lieber hungerten, als sich dem Geschäftsgetriebe
des Primitivismus hinzugeben.

So dürfte im ganzen wohl die Lage der bilden-
den Künste anzusehen sein, wie sie durch den
Einbruch des Intellektualismus und des ihm ver-
wandten Mystizismus entstanden ist. Es wurde
eine allgemeine Unfruchtbarkeit, ein Zerfall
innerhalb der Künste selbst und zwischen Kunst
und Volk herbeigeführt. Die wesentlichste Auf-
hellung über die aufgeworfene Grundfrage nach
dem Ursprung künstlerischen Schaffens hat wohl
im wissenschaftlichen Sinne Prinzhorn gebracht.
Er stellte zwar in einigen wenigen Fällen die
ergreifende Ähnlichkeit solcher schmerzhaften
Ausbrüche der in Worten unausdrückbaren Lei-
den seiner aus dem Lebenszusammenhange her-
ausgerissenen Patienten fest, mußte aber zu-
gleich gestehen, daß die mit dem Verstände ge-
suchten Urgründe der künstlerischen Arbeit auf
seinem Wege und in seinem Arbeitsbereich nicht
auffindbar gewesen seien. Damit hätten dann
die intellektuellen Künstler eigentlich auch ihre
Versuche aufgeben sollen, angeblich bewußt im
Sinne dieser tragischen Irrenkunst weiter zu ar-
beiten. Anderseits kann man gutgläubige Mystiker
natürlich nicht daran hindern, in freiwillig weit-
abgewandter Weise weiter zu schaffen, zumal
in den Jahren einer katastrophalen Arbeitslosig-
keit viele Menschen auch Beruf und Neigung
zum bildenden Künstler entdeckten, weil sie sich
hierdurch innerlich und äußerlich von ihrem
seelischen und wirtschaftlichen Druck zu be-
freien hofften. Grade der intellektuelle Zug,

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