Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

DOI Heft:
Nr. 4
DOI Artikel:
Nonn, Konrad: Kunst und Kunstwissenschaft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0147

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nur geleitet, nicht aber hervorgerufen werden
kann.

Wenn aber der Denksport des Intellektualismus
es grundsätzlich verschmähte, nach den Regeln
des künstlerischen Schaffens in den großen
Werken der Vergangenheit vorsichtig zu for-
schen, und statt dessen wilde Experimente außer-
halb aller geregelten Bahnen vollführte, so
konnte nur der Mißerfolg die Folge sein.
Da Papier, gemalte Leinwand und ausgehauene
Marmorblöcke in gleicher Weise geduldig sind,
so konnten die Mißerfolge der vorzeitig an-
gewandten, unfertigen Kunstphilosophie nie-
mals zu einer größeren Blamage führen, als sie
durch die Ursünderin nicht auch mittels neuer
Theorien immer wieder verdeckt werden konnte:
woraus sich der häufige Wandel in den Kunst-
moden der letzten Jahrzehnte herleitet.
Auf dem Gebiete der Baukunst war es nicht an-
ders. Die literarische Verführung wurde hier mit
besonderer Rücksichtslosigkeit durchgesetzt. Die
bereits stark entwickelten Triebe einer neuzeit-
lichen Baukunst schrumpften schnell in ein
Nichts zusammen, als unter den Händen philo-
sophisch ungebildeter und künstlerisch amor-
pher Bauliteraten künstlerisch sterile Gebilde
entstanden, die nicht einmal mehr den Namen
nur-technischer Leistungen verdienten, sondern
als Spekulationsobjekte einer großsprecheri-
schen, geschäftsgierigen Baupfuscherei erkenn-
bar wurden. Zu einer Zeit, als die Neubauruinen
der sogenannten „neuen Sachlichkeit" bereits
zum Zeitungsspott geworden waren, erschien als
tragikomischer Abgesang dieser Epoche „der
Sieg des neuen Baustils", gleichzeitig als letztes
literarisches Erzeugnis des Hauptpropheten die-
ser Richtung. So endete dieser Literatensport,
der mit der Baukunst getrieben wurde, ebenfalls
in einer schlimmen Sackgasse. Der sogenannte
Kulturbolschewismus, der hier beschrieben
wurde, hat in der krankenhausmäßigen Kahl-
heit seiner Bauwerke ebenso wie mit deren
schnellem, tatsächlichen Verfall unbewußt das
sprechende Symbol für die dauernde Sana-
torimnsbedürftigkeit dieser Kunstausartungen
geschaffen.

Der Spaziergang der Künste in das Gebiet des
Intellektualismus hinein hat sich schwer an den
Künsten selber gerächt, und wir können uns ge-
trost —■ in der Ermangelung einer verstandes-
mäßigen Einsicht in die Geheimnisse künstleri-
schen Schaffens und an Stelle vorausschauender

Theorien und Tüfteleien wieder auf den Grund-
satz besinnen: Bilde Künstler, rede nicht.

Auch die Kunstwissenschaft selbst kann nur Vor-
teil davon ziehen, wenn sie sich ihrer eigenen
Mutter, der Philosophie, wieder mehr nähert
und dem Goetheschen Ziel einer Kritik der
Sinne zustrebt, während die schaffenden Künste
sich der Kultur der Sinne widmen.

Wie dies praktisch geschehen kann, dafür kann
und wird die Baukunst mit ihrer engen Ver-
schwisteruiig zu den anderen Künsten ein gutes
\ orbild sein müssen. Eine gründliche Schulung
in allem praktischen Können handwerklicher
Art ist in gleichem Maße für den zukünftigen
Baukünstler, wie für den Maler und Bildhauer
unentbehrlich. Diese unerläßliche Vorstufe muß
nieder zu ihrem Rechte erhoben werden. Kein
Lernender, der auf diesem Gebiete nicht die er-
forderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten erwor-
ben hat, dürfte in die nächste Stufe eintreten.
Denn durch jede praktische Betätigung erreicht
der Mensch nicht nur objektive Kenntnisse, er
gelangt auch zugleich zu einer Beherrschung
seiner sinnlichen Kräfte.

Erst diese Vorstufe macht es ihm möglich, sich
nun einem eingehenden Studium der Natur
und Umwelt hinzugeben. Maler und Bildhauer
haben sich nach Erreichung handwerklichen
Könnens dem liebevollsten Studium der gesam-
ten Erscheinungswelt zu widmen. Dies für die
Erarbeitung seiner Darstellungsmittel nötige
Naturstudium bewahrt den angehenden Künst-
ler auch vor der Gefahr, in autistische Selbst-
versunkenheit und Eigenbrödelei zu verfallen.
Der zukünftige Baukünstler hat darüber hinaus
die Bedürfnisse des Menschen selber zu studie-
ren. Diese Betätigung führt nun unmittelbar den
Menschen an die metaphysische Schwelle heran,
vor der wir zu achtungsvollem Halt gezwungen
sind. Haben wir durch eindringendes Studium
der sichtbaren Umwelt die Erkenntnis erworben,
daß über allem sichtbaren Geschehen die
metaphysischen, unbegreiflichen Gewalten als
die große Tatsache eigentlicher Wirklichkeit
stehen, dann ist für den denkenden und empfin-
denden Menschen Möglichkeit und Nowendig-
keit gegeben, zur künstlerischen Denk- und Hand-
lungsweise zu schreiten und sich dem Symbol
als Ausdrucksmittel zuzuwenden. Nur wer dieser
Ehrfurchtsgrenze sich mit ruhigem Verstände
genähert hat und die Schranken menschlicher
Fähigkeiten vor sich sieht, ist reif, in das Reich

125
 
Annotationen