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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 4
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Lohmeyer, Karl: Palagonisches Barock
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0151

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tanzt waren, so genügte das dem Fürsten Pala-
gonia noch keineswegs, denn zu den wildbeweg-
ten Figurengruppen und Vasen aus kombinier-
ten tierischen und menschlichen Gestalten traten
Kavaliere und Damen in Rokokotracht, „Prin-
zessinen mit Federn und Falbalas", Schäfer und
Schäferinnen, Musikanten mit ihren Instrumen-
ten, dazu tanzende Affen und Hunde, Esel mit
Spitzenkrausen, „Straußvögel in Reifröcken und
gestiefelte Kater". Auch konnte man sehen, wie
Löwen und andere Tiere vergnügt mit Servietten
unter dem Kinn bei der Tafel saßen und Austern
aßen! Wenn aber mehr Platz auf einem der
hohen Sockel war, mischten sich noch Zwerge in
diese phantastischen Gruppierungen.

Dieser überreiche Plastikweg nimmt ein Ende
am Portal des eigentlichen Schloßbezirkes, vor
dem er sich noch einmal wieder zu einem wir-
kungsvollen Rund weitet. Dieser zweite Eingang
wird durch einen offenen Mauerweg mit je zwei
Pfeilern mit Obelisken darauf gebildet. Neben
ihm thronen noch auf merkwürdig verdickten
Postamenten zwei weiße Marmorriesen mit ge-
waltigen Köpfen und zu kleinen Körpern. Links
ein solcher mit einem langen Bart, ägyptisch aus-
sehend und auch so von Goethe charakterisiert,
rechts ein Ungetüm, das vier Beine übereinan-
dergeschlagen hat und am Kopf statt der Ohren
Widderköpfe trägt, was von weitem fast wie ein
Napoleonshut sich ausnimmt. Mit drei Brüsten
ist dieser kauernde Riese geziert (Taf. 26c).
Im Hufeisengrundriß umziehen von den vier
Torpfeilern dieses Durchgangs aus einstöckige
Okonomiegebäude einen Vorhof, denen die ehe-
maligen plastischen Aufsätze heute fehlen, an
ihrer äußeren Front werden sie burgartig von
Zinnen umrahmt, hier eine Konzession an die
beginnende Romantik. Nichts ist mehr in diesem
Vorhof von all der ehemaligen Auszierung vor-
handen, auch die Brunnen ohne Wasser fehlen
und die vorsätzlich auf die Nase gelegten Sta-
tuen, die auch Goethe erwähnt, der von den
gleichfalls beseitigten nach einer oder der an-
deren Seite sich herabneigender schiefen Ge-
simsen der kleinen Häuser erzählt.

Dann geht es in den eigentlichen Schloßhof hin-
ein, der in breitem Rund das Casino der Villa
umzieht. Von den kleineren Halbzirkeln, in die
nach Goethe „dies herkömmliche, mit kleinen
Gebäuden umgebene Rund" ausgebogt gewesen
sein soll, „damit es ja an Mannigfaltigkeit nicht
fehle", ist heute nichts mehr zu merken. Dieses

Mauerrund ist noch mit all seiner enggestellten
plastischen Verzierung erhalten, die wie ein wahr-
haftes Heer den Herrensitz umgibt (Taf. 26 c).
•— Die Mitte dieses runden Mauerzuges macht
rechts und links je ein seitlicher Doppeltor-
durchgang aus, denn auch hinter diesen Umfas-
sungsmauern liegen noch schmälere Wirtschafts-
räume im Kreise herum, zu denen einfache
Türen mit Oberlichtern hineinführen (Taf. 27b).
Die Tore sind von Pilastern begleitet, und ein
schön geschweifter Bogen bedacht sie, auf dem
es wild zugeht, da sich hier in phantastischem
Gemisch ungeheuerlich gebildete menschliche
und tierische Körper zu einer von weitem wie
verschlungenes Rocaille wirkenden Bekrönung
durcheinanderwinden, aus der nur mühsam die
beiden seitlich aufragen sollenden Obelisken
über den Torpilastern zu ihrem Recht kommen
(Taf. 27 c). Und das alles wirkt fast wie jene
hochinteressante, verwilderter Gotik verwandte
späte rheinisch-fränkische Dekorationsphase, wie
sie im Tierischen unter Johann Seiz ihren Höhe-
punkt um 1760 erreicht, nur, daß dort hervor-
ragend kultivierte, wenn auch ebenfalls wild-
phantastische Entwürfe, ausgeführt von wirk-
lichen Meistern der Bildhauerkunst in feinstem
Material dieser sizilianischen roheren Auffas-
sung und Ausführung entgegenstehen.

Es ist weniger das Detail, das hier die Ähnlich-
keit ausmacht, sondern lediglich der wildbewegte
allgemeine Eindruck, besonders von weitem.
Voluten begleiten diese Tore und leiten zu den
Mauerhalbrunden über, die sich anschließen. In
der sie bekrönenden Plastikreihe ist keine be-
ruhigende Lücke, kein abwechselnder Höhen-
unterschied mehr, wie bei der ehemals trotz
allem noch besonders wirkungsvoll durchgeführ-
ten und künstlerisch im Sinne des Barock auf-
gebauten Maueranlage des Viale. Hart nebenein-
ander stehen diese Figuren des mittleren Runds,
die einzigen, die man bewahrt hat, um das Haus
beisammen und feiern eine der wildesten Orgien
des gesamten europäischen Barock, soweit er uns
erhalten geblieben ist.

Da gibt es auf der linken Seite wieder neben
riesigen kauernden Phantasie-Drachen, denen
noch weitere kleinere Ungetüme aufsitzen, unter
allerhand Vermischungen von Menschen und
Tieren aber auch viele ausgesprochene, z. T.
komische Genreszenen, elegante Kavaliere und
Damen in Zeittracht und als Gegensatz dazu
glückbringende Bucklige, einen hinkenden Bett-

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