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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0176
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lung durch die Arbeit des älteren und jüngeren
Forschers, neben denen Kondakows Vorarbeit
und das grundlegende Sammelwerk J. Grabars
nicht unerwähnt bleiben darf, auf seinen Haupt-
stufen im wesentlichen geklärt, so verworren
er sich noch im Anfang des Jahrhunderts dar-
stellte. Er läßt sich in ein paar Sätzen zu-
sammenfassen. In der ersten, vormongolischen
Periode erfahren die von Byzanz und aus Klein-
asien über den Kaukasus und die Krim ent-
lehnten Stammtypen der Kuppelbasilika und
der fünfschiffigen Kreuzkuppelkirche in den
Kunstkreisen von Kiew, Nowgorod und Ssusdal-
Wladimir eine fortschreitende Vereinfachung zu
einem würfelförmigen oder seltener gestreckten
als verbreiterten Baukörper, dessen öfters von
vier Nebenkuppeln umgebene Hauptkuppel und
Tonnengewölbe von vier oder sechs Pfeiler-
stützen getragen werden. Sodann setzt im Zar-
tum Moskau unter der Anregung italienischer
Baumeister (Aristoteles Fioraventi, Aloisio Novi
u. a.) um die Wende des XV./XVI. Jahrhunderts
eine fortschrittliche Bewegung ein, die durch
Aufnahme des Kreuz- und vor allem des Kloster-
gewölbes zur Entstehung eines neuen Bautypus
der Turmkirchen mit pyramidalem Zeltdach
(Kolomenskoje, Wassilij Blashennyj) führt. Mit
ihm wird in der weiteren Entwicklung des XVI.
und XVII. Jahrhunderts die herkömmliche
Kuppelkirche, oft unter Fortfall der Pfeiler-
stützen, zu einem mehrgliedrigen malerischen
Ganzen mit angeschlossenen Nebenkirchen und
Glockenturm verquickt. Gleichzeitig bereichert
sich der äußere Aufbau mit dekorativen Bau-
formen, z. T. orientalischer Herkunft, indem die
in zwei bis drei Reihen die Kuppel umgeben-
den Bund- oder Kielbogenzellen und sogar die
über dem Gewölbesystem aufsitzenden Neben-
kuppeln ihre konstruktive Bedeutung verlieren.
Mit dem Eindringen von Ziergliedern des Holz-
baues und des abendländischen Barock findet
die Fortbildung des Kirchengebäudes ihren Ab-
schluß.

Es ist Pflicht der wissenschaftlichen Kritik und
bedeutet keine Schmälerung der vollen Aner-
kennung, die auch die Leistung des jüngeren
Forschers verdient, daß trotzdem auf die weni-
gen Punkte hingewiesen werden muß, in denen
m. E. wichtigere Fragen in beiden Werken noch
nicht ihre völlig überzeugende Beantwortung
gefunden haben. Sowohl Ainalow als auch Bru-
now scheinen mir allzusehr geneigt, den Ein-
fluß des Abendlandes auf die Entwicklung der
vormongolischen russischen Baukunst zu über-
schätzen. Auf beiden Wegen, die dafür in Be-
tracht kommen, dem nördlichen über Gotland
und Nowgorod und dem südlichen über Gali-

zien, Wolhynien und Weißrußland, hat augen-
scheinlich doch nur eine Entlehnung einzelner
Bauformen stattgefunden. Dahin gehören ge-
wisse Kapitelltypen, Portalnischen, der roma-
nische Bogenfries, die Blendnischengalerien an
den Apsiden einzelner Nowgoroder Kirchen des
XIV. Jahrhunderts, und der spitze Kleeblatt-
bogen ihrer vorgeblendeten Wandgliederung,
während konstruktive Anleihen ebenda nur im
Profanbau (Erzbischofspalast und Ephraims-
turm) greifbar sind. Die Halbtonnen der dorti-
gen Sophienkathedrale, liegt es doch näher, aus
der byzantinischen Bautechnik (Strebebogen der
Kiewer Schwesterkirche) als etwa von südfran-
zösischen Vorbildern abzuleiten. Die Gegenprobe
ergibt sich aus dem gänzlichen Fehlen des Kreuz-
und Rippengewölbes sowie gotischer Strebe-
pfeiler und -bogen im Kirchenbau. Mit einer im
wesentlichen selbständigen örtlichen Kunstblüte
des XII. und XIII. Jahrhunderts haben wir es
wohl vollends in Ssusdal-Wladimir zu tun, die
weit eher aus Transkaukasien und dem damals
noch bestehenden islamischen Reich der Wolga-
bulgaren gewisse Bauformen, wie die Schlitz-
fenster, Portalnischen und wahrscheinlich auch
die von Konsolen getragenen Blendarkaden-
friese übernommen hat. Gegen die von Ainalow
vermutete Herkunft eines in der Chronik er-
wähnten bulgarischen Baumeisters vom Balkan
spricht jedenfalls der damalige kulturelle Tief-
stand des zweiten südbulgarischen Königreichs.
Daß der weiße Haustein von der Wolga her-
rührt, hat überdies Ainalow selbst festgestellt.
Ebenso, daß der Bildstoff der figürlichen Flach-
reliefs durchweg die Weltanschauung der mor-
genländischen Christenheit spiegelt. Mit der ro-
manischen Bauplastik des Abendlandes hat er
nur die Fabeltiere als weitverbreitetes Lehngut
aus der islamischen Formenwelt gemein. Ähn-
lichen Reliefschmuck der Mauern aber weist
wieder Armenien auf (Achtamar). Neue Ge-
wölbekonstruktionen sind erst von den oben er-
wähnten Renaissancebaumeistern in Moskau
eingeführt, dann aber von den Russen so kühn
wie geschickt ihren Bauzwecken dienstbar ge-
macht worden. Doch genügen Brunows Hin-
weise auf ein paar kleinere Zentralanlagen
abendländischen Gepräges schwerlich, um aus
solchen Vorstufen die Entstehung der großen
Turmkirchen zu erklären. Da an dem frühen
Vorhandensein hölzerner achtseitiger Glocken-
türme im Nowgoroder Kunstkreise trotz Mangels
so alter erhaltener Denkmäler kaum zu zweifeln
ist, erscheint die Ablehnung der von anderen
Forschern vertretenen Annahme ihrer vorbild-
lichen Einwirkung nicht gerechtfertigt. Die
allerdings sehr verwickelte Frage der Weehsel-

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